Bildquellen:
Der Raub der Europa, Wikipedia, 23.6.2026, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Europa_und_der_Stier.jpg;
Storm Shadow missile, Wikipedia, 5.1.2006, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:StormShadow-Hendon_1.jpg?uselang=de
DIE METHAMORPHOSEN DES OVID – DIE ALTGRIECHISCHE MYTHOLOGIE PRÄGTE DEN NAMEN EUROPA
Die Metamorphosen des Ovid:
Entführung und Verführung Europas
„Jupiter ist ein Getriebener. Der Gott verwandelt sich beim Anblick der schönen Europa [phönizische Königstochter] in ein Wesen, das durch seine Begierden und Instinkte ausgerichtet und beherrscht wird. Er wird zum Stier. Das ist kein mehr oder weniger guter Plan, das ist der Lauf der Dinge. Die „animalische“ Triebstruktur gehört zum Lebendigen. Sie ist eine Wirklichkeit, die anerkannt und beherrscht werden will. Wir erkennen uns in diesem Jupiter. Gegen Jupiter ist kein Kraut gewachsen. Europa kann sich ihm nicht „entwinden“. […] Verführt werden kann man, weil man dem Verlockenden erliegt, selbst wenn man ahnt – oder gar weiß – dass alles doch ganz anders sein könnte als es sich jetzt zeigt. Auch der oder die Begehrte hat ein Begehren.“
Quelle:
Leitner 2022, Heinrich Leitner, Ovids Metamorphosen II: Als Europa nach Europa kam, in: Philosophisches zur Zeit, 14.6.2022, https://www.rhetorik-forum-nuernberg.de/als-europa-nach-europa-kam/#_ftn9, Ovid-Originaltext: zeno.org.
♦ Der altgriechische Mythos über die Herkunft des Namens Europa ist bis heute mehrdeutig geblieben. Eine bekannte Quelle sind die Metamorphosen, die der römische Dichter Publius Ovidius Naso zu Beginn unserer Zeitrechnung in Gedichtform geschrieben hat. Wie der Name bereits sagt, steht in den „Metamorphoses“ (lat.) das Thema „Verwandlung in eine andere Gestalten“ im Vordergrund. Menschen oder Götter nehmen u.a. eine Tiergestalt an, um die wahren Absichten ihres Handelns zu verbergen.
♦ Durch die Verwandlung in einen Stier [lat. tauros, gr. ταύρος] gelingt dem Gott Jupiter/Zeus die Entführung der phönizischen Königstochter Europa von der Küste Kleinasiens nach Kreta. Frühe Interpretationen dieses Mythos fokussierten sich auf Jupiter in der Rolle des Verführers, der nach erfolgreicher Tat zu seiner Ehefrau zurückkehrt. Neuere Interpretationen ergänzen diese Sicht um die Frage nach dem Motiv der Entführten. Warum ließ sich Europa auf dieses Abenteuer ein? Warum wurde aus der Entführung eine Verführung?
DIE ANALOGIE ZUM EUROPA-MYTHOS: DIE EU LÄSST SICH VON DER TAURUS-RÜSTUNGSLOBBY VERFÜHREN
Entschließung des Europäischen Parlaments
vom 29. Februar 2024
zu der Notwendigkeit unverbrüchlicher EU-Unterstützung für die Ukraine zwei Jahre nach dem Beginn von Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine […]
11. ist der Ansicht, dass es keine selbst auferlegten Beschränkungen der militärischen Unterstützung für die Ukraine geben sollte; […] fordert, dass die notwendigen Investitionen in die industrielle Basis der europäischen Verteidigung getätigt werden, damit die Produktion erheblich gesteigert werden kann, um den Bedarf der Ukraine zu decken und die erschöpften Bestände der Mitgliedstaaten der EU aufzufüllen; betont, dass die Ukraine insbesondere hochentwickelte Luftabwehrsysteme, Marschflugkörper mit großer Reichweite wie die Systeme Taurus, Storm Shadow bzw. Scalp usw., moderne Kampfflugzeuge, verschiedene Arten von Artillerie und Munition (insbesondere Artilleriemunition des Kalibers 155 mm) sowie Drohnen und Waffen benötigt, um Angriffe abzuwehren; […] fordert die EU und ihre Mitgliedstaaten auf, die Möglichkeiten von Gemeinschaftsunternehmen (Joint Ventures) und eine enge Zusammenarbeit mit der Rüstungsindustrie aus gleichgesinnten Drittstaaten zu sondieren, damit die Ukraine die benötigte Munition erhält; fordert insbesondere die größten Mitgliedstaaten mit beträchtlichen Kapazitäten in der Rüstungsindustrie nachdrücklich auf, die militärische Unterstützung für die Ukraine umgehend in erheblichem Umfang aufzustocken; […]
Quelle:
Europäisches Parlament, 29.2.2024, Angenommene Texte
♦ Die Analogie zum antiken Europa-Mythos zeigt sich heute in der Verführung Europas durch Rüstungsunternehmen, die schon seit Jahren auf große staatliche Aufträge warten. Der Marschflugkörper TAURUS wurde vor mehr als 20 Jahren in Deutschland entwickelt und ist seitdem im Einsatz der Bundeswehr. Der Name steht für Target Adaptive Unitary and Dispenser Robotic Ubiquity System, eine steuerbare Rakete mit modernster Technologie und einer Reichweite von ca. 500 km.
♦ Der Hersteller MBDA führt den TAURUS unter Luftbewaffnung und nicht Luftverteidigung (mbda-deutschland.de, TAURUS). Es handelt sich um eine Offensivwaffe, die nicht der Luftabwehr dient, sondern Angriffen auf fremde Territorien. Im Jahre 1990 hatte sich die Bundeswehr von einer Verteidigungs- zu einer Parlamentsarmee gewandelt (bmvg.de, Bundeswehr). Dies ermöglichte Auslandseinsätze im Rahmen „multinationaler Kooperationen“ (bmvg.de, 2016: 7) und verführte zur Anschaffung von Angriffswaffen wie TAURUS.
♦ Bis 2020 hielt sich die Bundeswehr mit Aufträgen zurück. Das Konsortium der Rüstungshersteller MDBA und Lockheed ging leer aus (finanzen.net, 14.8.2020). Dennoch stieg der Aktienkurs von Lockheed seit 2011 von 50 auf 400 Euro (boerse.de, Lockheed, 17.3.2024). Dagegen stürzte 2020 der Aktienkurs von Airbus/EADS, Anteilseigner der MBDA, von 35 auf 12 Euro ab. Erst der Ukraine-Krieg sorgte für eine Erholung auf 40 Euro (boerse.de, Airbus, 17.3.2024). Auch Rheinmetall profitiert seit 2022: Dessen Kurs kletterte von 20 auf 90 Euro (boerse,de, Rheinmetall, 17.3.2024).
TAURUS–LOBBYISMUS IM DEUTSCHEN BUNDESTAG NACH INFORMATIONEN DES OFFIZIELLEN LOBBY-REGISTERS
Deutscher Bundestag: Registereintrag des
Taurus-Herstellers MBDA Deutschland GmbH
Jährliche finanzielle Aufwendungen im Bereich der Interessenvertretung: Geschäftsjahr: 01/22 bis 12/22
880.001 bis 890.000 Euro
Anzahl der Beschäftigten im Bereich der Interessenvertretung:
11 bis 20 […]
Beschäftigte, die Interessenvertretung unmittelbar ausüben (13) [Namensliste …]
Beschreibung der Tätigkeit:
Im Rahmen Ihrer Geschäftstätigkeiten informiert die MBDA Deutschland regelmäßig Mitglieder des Deutschen Bundestages, der Bundesregierung und der Ministerien über technologische Entwicklungen und Lösungsmöglichkeiten zum Schutz unserer Soldatinnen und Soldaten. Darüber hinaus engagiert sich die MBDA Deutschland in Diskussionen zur Beschaffungs- und Exportpolitik und leistet Beiträge zum allgemeinen gesellschaftspolitischen Diskurs zur Sicherheits-, Verteidigungs- und Außenpolitik. […]
Mitgliedschaften (9): […] Wirtschaftsrat der CDU e. V. […]
Zuwendungen oder Zuschüsse über 20.000 Euro (2):
European Union, represented by European Commission Directorate – General Defence Industry and Space,
Betrag: 450.001 bis 460.000 Euro, Brüssel, Belgien
Quelle: Lobbyregister, MBDA, 23.6.2023, Detailansicht des Registereintrags, MBDA Deutschland GmbH, Aktuell seit 23.06.2023.
♦ Neue Aufträge für die Rüstungsindustrie sind selbst in Krisen- und Kriegszeiten keine Selbstläufer. Denn nach Ende des Kalten Krieges 1990 haben sich Strukturen etabliert, die sich einer internationalen Friedens- und Konfliktprävention verschrieben haben. Deutschland fördert hierzu Forschungsinstitute auf Bundes- und Landesebene, die der Politikberatung dienen, um alternative Wege zu militärischen Eskalationen aufzuzeigen (bundesstiftung-friedensforschung.de, ifsh.de, prif.de).
♦ Um den weltweiten Trend zur Abrüstung zu stoppen (Riedel 2022/6) und den öffentlichen Diskurs zugunsten einer Wiederaufrüstung zu beeinflussen, betreiben die Rüstungsunternehmen Lobbyarbeit. Ein zentrales Lobbyregister gibt Auskunft: Aktuell sind 6.209 Verbände mit 33.618 Personen registriert, die für ihre Interessensvertretung direkten Zugang zum Bundestag haben (lobbyregister.bundestag.de). Statistisch fallen auf jeden gewählten Abgeordneten rund 8 Lobbyverbände oder 46 registrierte Lobbyvertreter.
♦ Wie aus den Registereinträgen hervorgeht, beschäftigt der TAURUS-Hersteller MBDA 13 Mitarbeiter, die im Bundestag eine „Interessenvertretung unmittelbar ausüben“. Dafür wendete das Unternehmen in 2022 890.000 Euro auf (Lobbyregister, MBDA, 23.6.2023). Im gleichen Zeitraum erhielt es von der EU-Kommission 460.000 Euro aus öffentlichen Geldern für seine Lobbyarbeit (vgl. Zitat linke Seite). Rheinmetall beschäftigt für sein Lobbying 5 Mitarbeiter mit direktem Zugang zum Bundestag und einem Budget von einer 1.030.000 Euro (Lobbyregister, Rheinmetall, 24.5.2023).
WAFFENLIEFERUNGEN HABEN 2021 DIE UKRAINE VON POLITISCHEN ZUGESTÄNDNISSEN IM DONBASS ABGEHALTEN
Prof. Carlo Masala, Deutschland, im Interview am 20.2.2023:
Deutschland sollte Ukraine Waffen liefern –
„Ich rede von Menschenleben“
Merkur: Steht Europa wirklich vor einem Krieg in der Ukraine oder baut Russlands Präsident Putin nur eine Drohkulisse auf, um andere Ziele zu erreichen?
Prof. Carlo Masala: Beides ist der Fall. Wir stehen vor einem Krieg in der Ukraine, wenn Putin nicht das Gefühl hat, dass seinen Forderungen in irgendeiner Weise nachgekommen wird. Es ist also mehr als eine reine Drohkulisse. Es geht auch nicht nur um die Ukraine. Wir sehen, dass mittlerweile auch skandinavische Länder von seinen Drohungen betroffen sind. Es ist nicht auszuschließen, dass wir eine militärische Eskalation sehen werden. […]
Merkur: Wäre die Ukraine militärisch in der Lage, einem russischen Angriff standzuhalten?
Prof. Carlo Masala: […] Es wird Gegenwehr geben. Der ukrainische Generalstabschef meinte vor zwei Wochen, man könne einem Angriff nicht lange standhalten. Aber hier darf man Clausewitz zitieren: Dann gibt es „den Nebel des Krieges“, das kann man nicht voraussehen. […]
Quelle: Alexander Weber, merkur.de, 18.1.2022:
♦ Der TAURUS Hersteller MBDA wollte in Kooperation mit Lockheed schon 2020 mit der Bundeswehr ins Geschäft kommen, erhielt jedoch keine Aufträge. Infolge verstärkter Lobbyarbeit weckten die Medien bereits 2021 neue Kriegsängste: In den abtrünnigen ukrainischen Provinzen Donbass und Lugansk spitzte sich die Lage zu. Kiew setzte seit 2014 seine Armee gegen die Separatisten ein. Als Russland Ende 2021 Truppen an der Grenze zusammenzog und eine Drohkulisse aufbaute, sprach Kiew von einer bevorstehenden Militärinvasion.
♦ In dieser Situation kamen in deutschen Medien überwiegen Stimmen zu Wort, die für Waffenlieferungen plädierten. Diese diskutierten ausschließlich die Bedrohungsängste der Ukraine und die der skandinavischen Länder, ohne die Chancen einer friedliche Konfliktbeilegung auszuloten (merkur.de, 18.1.2021, vgl. linke spalte). Dafür plädierte der OSZE-Vertreter vor dem UN-Sicherheitsrat wenige Tage vor Beginn des Krieges (UN-SC, 17.2.2022). Deutschland war sogar Schirmherrin der Minsker Vereinbarungen unter der Ägide der OSZE (Riedel 2022/7: 3).
♦ Die Ukraine und führende NATO-Mitglieder waren zu keinerlei Kompromissen bereit und riskierten stattdessen durch Waffenlieferungen eine militärische Eskalation. Dagegen hatte Moskau Ende 2021 konkrete Vorschläge gemacht, um eine weitere NATO-Osterweiterung zu verhindern (Richter 2022). Moskau hatte dafür eine Reihe von Zugeständnissen gemacht, u.a. Sicherheitsgarantien, Abrüstungsangebote, Verzicht auf die Stationierung von Atomwaffen auf ausländischem Territorium (vedomosti.ru, 17.12.2021).
SCHWERE WAFFEN VERLÄNGERN NUR EINEN NICHT ZU GEWINNENDEN KRIEG GEGEN RUSSLAND
Ex-General Kujat, Deutschland, im Interview am 20.2.2023:
Waffenlieferungen verlängern den Krieg,
führen aber nicht zum Sieg der Ukraine
SWR Aktuell: Der Westen will nun alles tun, damit die Ukraine diesen Krieg gegen Russland gewinnen kann.
Kujat: Nun, zunächst mal muss man ganz klar sagen: Was bedeutet es denn überhaupt, einen Krieg zu gewinnen? Ein Krieg gewinnt man dann, wenn man die politischen Ziele erreicht, deretwegen man diesen Krieg führt. Und wenn man diese Definition zugrunde legt, und ich halte sie für richtig, kann niemand gewinnen, weder Russland wird ihn gewinnen noch die Vereinigten Staaten und schon gar nicht die Ukraine. Also: Diese Waffenlieferungen könnten allenfalls dazu führen, dass die Ukraine in der Lage ist, sich weiter zu verteidigen, aber nicht um einen militärischen Sieg, der anders aussieht als der politische Gewinn, einen militärischen Sieg zu erreichen. Wir verlängern also damit den Krieg. Und das Entscheidende dabei ist, dass wir einen ganz entscheidenden Grundsatz außer Acht lassen: Dass nämlich während eines Krieges, der ja aus politischen Gründen geführt wird, die Politik nicht suspendiert werden darf. Aber genau das tun wir. Wir setzen auf Gewalt, und seit einem Jahr kommt die Politik nicht mehr zu ihrem Recht. Das ist ein riesengroßer Fehler, weil er nämlich nicht nur die Ukraine weiter zerstört, Menschenleben gefährdet, sondern weil er auch unsere eigene Sicherheit gefährdet, […]
Quelle: Andreas Böhnisch, SWR-Aktuell, 20.02.2023
♦ Ein Jahr nach Kriegsbeginn, nachdem bereits 300.000 Todesopfer zu beklagen waren (Riedel 2023/1), fragten deutsche Medien erstmals Militärexperten nach den Erfolgschancen der Ukraine. Der deutsche Ex-Generals Harald Kujat antwortete, dass die Ukraine den Krieg gegen Russland militärisch nicht gewinnen könne (SWR-Aktuell, 20.02.2023, vgl. linke Spalte). Waffenlieferungen würden das Ende des Krieges nur hinausziehen. Ein Jahr später spricht Kiew bereits von 180.000 Toten auf russischer Seite und Moskau von 383.000 getöteten ukrainischen Soldaten (fr.de, 26.2.2024).
♦ Während die Zahl der Todesopfer nach offiziellen Angaben auf 560.000 gestiegen ist, scheint ein „Sieg“ der Ukraine in noch weitere Ferne gerückt zu sein: Ende 2023 haben die USA angekündigt, ihre Militärhilfe drastisch zu kürzen, so „dass das ukrainische Militär allmählich an Kampfkraft verliert. Schon jetzt hat die Ukraine die Fähigkeit verloren, Gegenoffensiven durchzuführen“ (csis.org, 19.12.2023, Washington). Diese Einschätzung war bewusst an die Adresse der EU gerichtet, um die entstandene Finanzierungslücke von 51 Milliarden US-$ zu schließen, „etwa 1 Milliarde Dollar pro Monat“ (a.a.O.).
Quelle: Eigene Zusammenstellung nach: csis.org, 19.12.2023
TAURUS-RAKETEN SIND NICHT KRIEGSENTSCHEIDEND, SONDERN VON POLITISCHER BEDEUTUNG
Mitschnitt: Deutsche Spitzen-Offiziere planten Anschlag auf die Kertsch-Brücke zwischen Russland und der Krim, 1.3.2024
Ranghohe deutsche Bundeswehroffiziere haben nach russischen Angaben an Überlegungen teilgenommen, wie die für Russland strategisch wichtige Kertsch-Brücke zwischen dem russischen Festland und der Halbinsel Krim mit Marschflugkörpern zerstört werden kann. […]
Einer der Offiziere merkte an, dass aufgrund der Länge der Brücke auch zwanzig Raketen nicht ausreichen würden, um nennenswerten Schaden anzurichten. «Die Brücke im Osten ist halt schwer zu erreichen, und die Pfeiler sind relativ klein, und das kann halt der Taurus darstellen, und die Mun[itions]-Depots – da kommen wir halt durch. Und wenn ich das jetzt berücksichtige und vergleiche, wie viele Storm Shadows und Himars abgeschossen wurden, da kann man ganz gut alle Einstellungsmerkmale halten. Da habe ich mir so drei Routen rausgesucht, wo ich sagen würde, geht’s da um die Brücke oder geht’s da um Mun-Depots?»
Die Offiziere diskutierten, wie eng die Bundeswehr in die Planung und Vorbereitung einbezogen werden kann, um nicht unmittelbar als Kriegspartei zu erscheinen. […]
Quelle: Wolfgang Koydl, Weltwoche.ch, 1.3.2024.
♦ TAURUS dient nicht der Verteidigung, sondern ist eine Angriffswaffe (mbda-deutschland.de, TAURUS), die Kiew gegen Russland einsetzen will. Deshalb veröffentlichte Moskau ein abgehörtes Gespräch zwischen deutschen Offizieren über Ziele auf der Krim (vgl. links). Der Inhalt enthüllt Informationen über die Relevanz dieses Waffensystems. Völkerrechtlich bedeutend ist die Tatsache, dass der Einsatz von TAURUS nicht kriegsentscheidend ist, sondern vor allem eine politische Symbolwirkung hat. Ein solcher militärischer Akt ist vom Recht auf Selbstverteidigung nicht gedeckt (Ipsen 2018, § 62, 2).
♦ Die Anwendung militärischer Gewalt ist auch im Falle einer Selbstverteidigung an das humanitäre Völkerrecht gebunden. Sie unterliegt den Prinzipien der „Erforderlichkeit, Verhältnismäßigkeit und Unmittelbarkeit“ (Ípsen, 2018, § 56, 31). Übersetzt bedeutet das: Dem Angegriffenen [die Ukraine] ist es nicht erlaubt, den Aggressor [Russland] zu bestrafen oder „es ihm ‚mit gleicher Münze heimzuzahlen'“ (a.a.O., § 56, 33). Die Verhältnismäßigkeit wird nach Ende des Ukraine-Kriegs von internationalen Gerichten geprüft: Die Verweigerungshaltung Kiews gegen jedwedes Verhandlungsangebot Moskaus wird der Ukraine bzw. NATO später negativ zu Buche schlagen.
DIE UKRAINE PLANT SEIT 2021 EINE POLITISCHE UND MILITÄRISCHE RÜCKFÜHRUNG DER KRIM
12 Punkte zur Stärkung der Strategischen Partnerschaft zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und der Ukraine, 10.3.2021
[…] 2. Die Vereinigten Staaten und die Ukraine müssen gemeinsam handeln, um die Souveränität und territoriale Integrität der Ukraine wiederherzustellen und eine weitere russische Aggression abzuschrecken. Dazu gehört der Ausbau unserer strategischen Partnerschaft und Verteidigungskooperation sowie die Suche nach neuen Wegen der Vereinigten Staaten zur Erhöhung der Verteidigungshilfe, um die Fähigkeit der Ukraine zur Abschreckung russischer Aggression zu stärken. Das bedeutet, weiterhin tödliche Verteidigungshilfe zu leisten und die Marine zu stärken. Weitere Bereiche einer möglichen militärischen Zusammenarbeit umfassen den Aufbau von Spezialeinheiten, Luftverteidigung und Küstenverteidigung. […]
Quelle: Kiewer Sicherheitsformum, 12 Punkte, ksf-openukraine, 10.3.2021
♦ Nicht nur Kiew, auch Moskau beruft sich auf das Selbstverteidigungsrecht. Russland sah sich durch Bio(waffen)labore und geplante Atomwaffen auf ukrainischem Boden bedroht (Riedel 2023/3). Es kann seine Militärintervention u.a. auf das Mittel der „präventiven Selbstverteidigung“ stützen (Ipsen 2018, § 56, 11). Schließlich müssen die Betroffenen im Falle einer Selbstverteidigung, das gilt für beide Konfliktparteien, stets die „Wahrung oder Wiederherstellung des Weltfriedens“ beachten (Art. 51, UN-Charta, 26.6.1945).
♦ Wie die Vorgeschichte des Ukraine-Kriegs zeigt, hat die Ukraine derzeit wenig zur Wahrung des Weltfriedens beizusteuern. Vielmehr setzt sie in ihren Sezessionskonflikten ausschließlich auf Gewalt, statt der russischsprachigen Minderheit Schutzrechte zuzugestehen. Zudem zieht sie NATO und EU in ihre innerstaatlichen und zwischenstaatlichen Konflikte hinein. 2021 nahm sie Kurs auf eine militärische Konfrontation, indem sie zur Rückführung der Krim eine militärstrategische Partnerschaft mit den USA einging (vgl. linke Spalte).
UKRAINISCHE MILITÄR-DOKTRIN IN 2023: AUS DER SELBSTVERTEIDIGUNG WIRD EINE RÜCKEROBERUNG DER KRIM
Die Ukraine tut alles in ihrer Macht Stehende für die Befreiung der Krim und den Sieg über den russischen Aggressor, der ukrainische Staatspräsident, 18.5.2023
Am Tag des Gedenkens an die Opfer des Völkermords an den Krimtataren traf sich der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj mit Vertretern des Medschlis des krimtatarischen Volkes. […]
„Wir bemühen uns nach Kräften, unserer gemeinsamen Geschichte den Tag unseres gemeinsamen Sieges hinzuzufügen, der allen unserem Volk einen zuverlässigen Weg nach Hause eröffnen und eine Säule der Freiheit in unserem ganzen Land sein wird“, sagte der ukrainische Präsident.
Der Präsident wies auch darauf hin, dass die Ukraine weiterhin für die Befreiung der Krim von den Besatzern und ihre vollständige Rückkehr in das Staatssystem unseres Landes arbeitet.
„Als wir die Krim-Plattform ins Leben gerufen haben, dieses Zentrum unserer gemeinsamen Stärke, wollten wir, dass das Thema Krim ganz oben auf der globalen Agenda steht. Jetzt erkennen immer mehr Staatsoberhäupter und Staaten, dass es ohne die Rückgabe der Krim keine Rückkehr zur Ruhe in den internationalen Beziehungen und zur vollen Kraft des Völkerrechts geben wird“, betonte das Staatsoberhaupt.[…]
Quelle: president.gov.ua, 18.5.2023.
♦ Die Vorgeschichte des Ukraine-Kriegs wurde von Anfang an ausgeblendet, um die Öffentlichkeit für Waffenlieferungen zu gewinnen. Bei dieser Überzeugungsarbeit spielt der Satz „Russland führt einen Angriffskrieg“ eine zentrale Rolle (deutschlandfunk.de). Er wird so häufig wiederholt, dass er eine hypnotische Wirkung entfaltet und ein wichtiges Ziel erreicht: Militärhilfen ohne Konditionen, quasi als Blankoscheck. Die sich solidarisierenden Staaten der NATO und EU stellen seither entweder ihre nationalen Interessen hintenan oder verbergen diese.
♦ Die Öffentlichkeit hat nie erfahren, warum der deutsch-französische Ansatz für eine friedliche Lösung der Sezessionskonflikte in Donbass und Lugansk (Minsker Abkommen) über Nacht aufgegeben wurde. Aufschluss bringt die militärstrategische Partnerschaft zwischen der Ukraine und den USA (2021). Danach sollte Washington in den Verhandlungsprozess der OSZE eingebunden werden. Davon erhoffte sich Kiew, keine Zugeständnisse machen zu müssen (vgl. Punkt 4 in: ksf-openukraine, 10.3.2021).
♦ Die Medien halten an ihrem Wording fest. Niemand nimmt davon Notiz, dass die Ukraine im Verlauf des Krieges ihre Militärdoktrin geändert hat. Staatspräsident Selenskyj erklärte im Mai 2023: „Die Ukraine tut alles, um die Krim zu befreien“ (president.gov.ua, 18.5.2023). Das Lobbying der ukrainisch-amerikanische Stiftung Open Ukraine, um „die Krim und den Donbass zurückzuerobern“ (lb.ua, 10.3.2021), hat sich durchgesetzt. Die Ukraine führt seitdem ebenfalls einen Angriffskrieg. Während die USA aussteigen, lassen sich die EU-Mitglieder immer tiefer in den Krieg hineinziehen.
RECHT AUF SELBSTVERTEIDIGUNG DER URKAINE HAT GRENZEN: DAS HUMANITÄRE VÖLKERRECHT
Völkerrechtliche Grenzen des Selbstverteidigungsrechts
Das Verbot einer uneingeschränkten („totalen“) Kriegsführung bedeutet zunächst, das im bewaffneten Konflikt nur das gestattet ist, was militärisch notwendig ist. [Ipsen § 62, 2…] Im Übrigen verbietet es alle Mittel der Kriegsführung, die vorhersehbar Verletzungen oder Leiden verursachen, die in einem krassen Missverhältnis zu dem erwarteten militärischen Vorteil stehen [§ 63, 4 …]. Zivile Objekte dürfen weder angegriffen noch zum Gegenstand von Repressalien gemacht werden [§ 64, 35 …]. Bestimmte Objekte stehen unter einem besonderen Schutz […]. Dazu zählen Zivilkrankenhäuser. Ebenfalls besonders geschützt sind für die Zivilbevölkerung lebensnotwendige Objekte wie Nahrungsmittel, […] Trinkwasserversorgungsanlagen und -vorräte sowie Bewässerungsanlagen. […] Des Weiteren geschützt sind […] Staudämme, Deiche und Kernkraftwerke [… § 64, 36]. Erste vertragliche Waffenverbote […] betreffen […] Gift und vergiftete Waffen. […] Heute bestehen weitreichende Verbote in Gestalt des Chemiewaffenübereinkommens von 1993 und des Übereinkommens über biologische Waffen von 1972 [§ 65, 11)].
Quelle: Heintschel von Heinegg, in: Ipsen 2018, Völkerrecht, 7. Auflage.
♦ Der aktuelle Kriegstaumel macht die EU-Mitgliedstaaten blind. Sie werden nicht gewahr, dass Russland nicht nur auf militärische Stärke, sondern auch auf das Völkerrecht setzt. Dazu gehört ein Diskurs darüber, ob die Abtretung der Krim-Region von der ehemaligen Russischen Sowjetrepublik an die Ukrainische SSR im Jahre 1954 rechtmäßig war. In einem neueren Gesetzesvorschlag der Staatsduma heißt es, die Schenkung hätte nach der sowjetischen Verfassung (1936) keine Rechtsgrundlage gehabt (tass.ru, 11.3.2024). Hier sind nun Völkerrechtler gefordert.
♦ Das Völkerrecht begrenzt die Ukraine in ihrem Recht auf Selbstverteidigung. Dies sollten sich die Unterstützerstaaten bewusst machen, weil sie u. U. für Kriegsschäden haften. Nach Kriegsende wird der Schutz der Zivilbevölkerung und ziviler Einrichtungen in den Fokus rücken (vgl. linke Spalte). Westliche Medien verschweigen bislang, dass die ukrainische Armee seit Mitte Juli 2022 das AKW Saporischschja beschießt, um es wieder in ihren Besitz zu bringen (energoatom.com.ua., 10.7.2022, vgl. Riedel 2024, AKW Saporischschja).
INTERVIEW MIT BUNDESJUSTIZMINISTER MARCO BUSCHMANN: „WER WAFFEN LIEFERT, IST NICHT KRIEGSPARTEI„
Interview mit Bundesjustizminister Marco Buschmann, 2022
Wann würde Deutschland völkerrechtlich zur Kriegspartei?
Buschmann: Wenn wir – natürlich nur hypothetisch – aktiv in das Kriegsgeschehen eingreifen würden, also zum Beispiel uniformierte deutsche Soldaten an der Seite ukrainischer Soldaten kämpfen würden. Wenn wir die Ukraine aber etwa durch Waffenlieferungen dabei unterstützen, sich selbst zu verteidigen, weil sie zu Unrecht attackiert worden ist, werden wir nicht zur Kriegspartei. […]
Die Sorge, dass Deutschland in diesen Krieg versehentlich hineinrutschen könnte, ist groß. Und die Bevölkerung ist bei der Frage der Waffenlieferungen durchaus gespalten. […]
Buschmann: […] Es gibt zwei Ziele, die wir nicht gegeneinander ausspielen dürfen: Wir wollen, dass die Ukraine diesen Krieg nicht verliert, denn sonst hätte sich Putin gegen das Völkerrecht durchgesetzt. Aber wir wollen auch keinen Weltkrieg. Daher wägen wir stets besonnen ab und treffen keine Entscheidung, durch die Deutschland oder das Bündnis in den Krieg hineinschlittert. Denn ein Krieg zwischen der Nato und Russland wäre ein Dritter Weltkrieg. Das Leid wäre unermesslich. […]
Quelle: BMJ: „Wer Waffen liefert, ist nicht Kriegspartei“, Berlin, bmj.de. 22.5.2022.
♦ Der deutsche Bundesjustizminister Buschmann nannte zu Beginn des Ukraine-Kriegs die rote Linie für eine Kriegsbeteiligung Deutschlands. Dies sei die Teilnahme deutscher Soldaten auf ukrainischen Schlachtfeldern (bmj.de. 22.5.2022, linke Spalte). Kaum zwei Jahre später diskutieren EU-Mitglieder über den Vorschlag Frankreichs, Bodentruppen in die Ukraine zu entsenden. Noch hält die deutsche Bundesregierung unter Olaf Scholz stand (spiegel.de, 15.3.2024). Doch weitere EU-Mitglieder schließen sich bereits Paris an, etwa Polen (merkur.de, 9.3.2024), Litauen (spiegel.de, 17.3.2024) oder Tschechien (merkur.de, 8.3.2024).
♦ Eine weitere Einschätzung des Bundesjustizministers ist von den Kriegsereignissen überholt worden. Seine Aussage, Waffenlieferungen mache Deutschland nicht zur Kriegspartei, erweist sich aus zwei Gründen als Irrtum: Mit TAURUS als explizite Angriffswaffe würde sich das ändern. Das von Moskau abhörte und veröffentlichte Gespräch zwischen deutschen Offizieren offenbart: ohne eine Beteiligung deutscher Ingenieure wäre ein Einsatz dieser Waffe nicht möglich. In diesem Fall blieb der Minister bei seinem Wort und stimmte gegen eine TAURUS-Lieferung (bundestag.de, 14.3.2024).
DEUTSCHLANDS SOLIDARITÄT MIT DER UKRAINE HAT VOR ALLEM RECHTLICHE GRENZEN
Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland
Quelle: bundestag.de/gg
♦ Das deutsche Grundgesetz setzt der Solidarität mit der Ukraine klare Grenzen (vgl. linke Spalte). In dem Augenblick, wo Kiews Militärstrategie zu einem Angriffskrieg wurde, hätte die Regierung die Sicherheitslage neu beurteilen und ggf. die Solidarität aufkündigen oder an Bedingungen knüpfen müssen. Stattdessen entglitt ihr zunehmend die Kontrolle über die nationale Sicherheit. Beispiele hierfür sind die Sprengung der Nord-Stream-Pipeline Ende September 2022 (nzz.ch, 26.2.2024) sowie die jüngste TAURUS-Debatte.
♦ Eine geheime Sitzung des Verteidigungsausschusses des Bundestages klärte die Abgeordnete über den Erst der Lage auf: TAURUS benötige eine „extrem hohe und komplexe Datenmenge“, die im Falle einer Waffenlieferung „ebenfalls an die Ukraine transferiert“ werden müsse. Die Bundeswehr hätte in der Folge nicht mehr über diese Waffe verfügen können und Deutschland wehrunfähig gemacht (t-online.de, 15.3.2024). Deshalb war der Antrag auf eine TAURUS-Lieferung von Anfang an verfassungswidrig.
♦ Eine Lieferung von Angriffswaffen gefährdet nicht zuletzt die Sicherheit der gesamten Europäischen Union. Der Antragstext der CDU/CSU im deutschen Bundestag vom 20.2.2024 trägt die Überschrift „Für eine echte Zeitenwende„. Darin fordert die Fraktion eine Lieferung von „verfügbaren Waffensystemen (u.a. von TAURUS)“. Sie schlägt Deutschland vor, die Ukraine im „Kampf gegen Russland zu unterstützten und dabei europäische Führung und Koordinierung zu übernehmen“ (bundestag.de, 20.2.2024).
EINE BEDINGUNGSLOSE SOLIDARITÄT MIT DER UKRAINE BEDROHT DIE EXISTENZ DEUTSCHLANDS
Zwei-plus-Vier-Vertrag, Wiedervereinigung Deutschlands, 1990
Quelle: auswaertigs-amt.de,1990.
♦ Deutsche Medien empörten sich über die „Abhöraffäre“ zu einer möglichen TAURUS-Lieferung, ohne sich mit dem Inhalt des abgehörten Gesprächs auseinanderzusetzen. Sie ignorieren überwiegend die Risiken zunehmender diplomatischer Spannungen mit Russland: Moskau betrachtet das Audiomaterial als Beweis für die Vorbereitung eines militärischen Angriffs. Das russische Parlament verlangt vom Bundestag eine „objektive Untersuchung“ (duma.gov.ru, 12.3.2024), was politisch relevant werden dürfte.
♦ Denn die Parlamentsdebatte zur TAURUS-Lieferung berührten nicht nur das Grundgesetz, sondern auch einen wichtigen völkerrechtlichen Vertrag. Es geht um Artikel 2 des Zwei-plus-Vier-Vertrags zur Wiedervereinigung Deutschlands. Er enthält das Verbot eines Angriffskriegs sowie das Versprechen, keine Waffen in Fällen einzusetzen, wo Völkerrecht gebrochen wird (vgl. linke Spalte). Dieses Dokument beendete den Besatzungsstatus und gab Deutschland die volle Souveränität zurück (Art. 7).
♦ Hier zeigt sich noch deutlicher, wo die Solidarität mit der Ukraine ihre Grenzen hat, nämlich in der besonderen nationalen Geschichte und Verantwortung Deutschlands gegenüber den Siegermächten des Zweiten Weltkriegs. Sollte Deutschland gegen die Auflagen dieses Zwei-plus-Vier-Vertrags verstoßen, haben die anderen vier Vertragsparteien jederzeit das Recht, sich aus dem Vertrag zurückzuziehen. Deutschland könnte im Zweifelsfall seine Souveränität an die ehemaligen Besatzungsmächte verlieren (Ipsen 2018, § 83-86).
Riedel 2023/3, Sabine Riedel, Kriege ohne Kriegserklärungen. Der Ukraine-Krieg im Licht von Völkerrecht, humanitärer Intervention, Massenvernichtungswaffen, Outsourcing von Außenpolitik, Wirtschaftssanktionen und Kriegswirtschaft, in: FPK, Vol. 7, 2023/3, 2023 Aug 9, 32 Seiten.
Riedel 2024, AKW Saporischschja, Sabine Riedel, Lage im AKW Saporischschja, Dokumentation, 19.3.2024.