Volume 5, 2021/8, Oct 14, 17 pages ♦ pdf-Format
Sabine Riedel
INHALT:
Die 17 Seiten enthalten:
Analyse, Zusammenfassung,
8 Abbildungen und Quellentexte,
ca. 52 Quellen (verlinkt)
Die ultimative Forderung des katalanischen Separatismus / Unabhängigkeitsbewegung bleibt die Proklamation eines souveränen katalanischen Staates. Zu diesem Zweck wurde im Jahre 2012 die Katalanische Nationalversammlung (Assemblea Nacional Catalana, ANC) als eine Art Parallelorgan zum Regionalparlament der autonomen Gemeinschaft eingerichtet. Sie mobilisiert durch Großveranstaltungen die Zivilgesellschaft, um den politischen Druck auf die Regionalregierung zu erhöhen.
Auch wenn ihr Einfluss stetig gewachsen ist, wagte sich bisher kein katalanischer Präsident, Katalonien endgültig von Spanien loszusagen, auch Carles Puigdemont nicht. Selbst die beiden Proklamationen in den Jahren 1931 und 1934 bezogen sich auf einen katalanischen Staat im Rahmen einer „föderalen spanischen Republik“ bzw. eines spanischen Bundestaates (La Vangardia, 15.4.1931). Damit blieben sie eine innerspanische Angelegenheit.
Im Gegensatz zu diesen historischen Vorbildern will die ANC Spanien ganz den Rücken kehren. Sie stützt sich auf das Völkerrecht und reklamiert für Katalonien das Recht auf Selbstbestimmung. Doch die entscheidende Frage ist zum einen, ob den Katalanen dieses Recht überhaupt zusteht, schließlich haben sie umfassende Autonomierechte, und zum anderen, ob eine Mehrheit der EU-Mitgliedstaaten einen unabhängigen Staat anerkennen würde.
Die Reaktion der internationalen Staatengemeinschaft auf die Unabhängigkeitserklärung vom 1.10.2017 war jedoch eindeutig. Keine europäische Regierung solidarisierte sich mit ihnen, selbst das Kosovo nicht, das seit seiner Unabhängigkeitserklärung am 17.2.2008 um seine internationale Anerkennung kämpft: Zwölf Jahre später haben noch immer 40 Prozent der UN-Mitglieder und fünf von 28 EU-Mitgliedern dagegen große Vorbehalte.
Solidaritätsbekundungen gab es jedoch von der Gemeinschaft nicht-anerkannter Staaten, insbesondere von den beiden abtrünnigen georgischen Provinzen Abchasien und Südossetien, deren Staatlichkeit nur von Russland unterstützt wird. Auch Regionalregierungen von EU-Mitgliedern, die dem Weg Kataloniens in die staatliche Unabhängigkeit folgen wollen, solidarisierten sich, so zum Beispiel Flandern/Belgien, Korsika / Frankreich und Sardinien / Italien, nicht zu vergessen Schottland / Vereinigtes Königreich.
Darüber hinaus fördern einige europäische Parteien separatistische Bewegungen, so etwa die EFA als europaweites Netzwerk separatistischer Parteien, das im Europäischen Parlament mit den Grünen eine Fraktion bildet (Catalan independence declaration, 10.10.2017). Aber auch einzelne nationale Parteien wie Die Linke in Deutschland befürworten den Separatismus der Katalanen.
Als Fazit lässt sich festhalten, dass der Kreis an Unterstützern für ein unabhängiges Katalonien klein geblieben ist. Die Mehrheit der demokratisch gewählten Repräsentanten und sämtliche europäische Regierungen lehnen derartige Sezessionsforderungen nicht zuletzt aus Sorge ab, dass diese auf sie zurückfallen könnten. Die katalanischen Separatisten werden auch keine weiteren Sympathien erhalten, wenn sie sich gegenüber allen Dialogangeboten der spanischen Zentralregierung kompromisslos zeigen. Mit ihrer Unnachgiebigkeit könnten sie eine neue Wirtschafts- und Finanzkrise in Spanien auslösen, die den gesamten Euroraum destabilisieren würde.
Hatte Carles Puigdemont den Konflikt schon europäisiert, versuchte sein Nachfolger Quim Torra ihn zu internationalisieren. Am 26.9.2018 verfasste er einen offenen Brief an den spanischen Ministerpräsidenten Sánchez, den er in Kopie mehreren politischen Persönlichkeiten zukommen ließ, einigen Regierungschefs der EU, dem US-amerikanischen Präsidenten Donald Trump, dem chinesischen Staatspräsidenten Xi Jinping und Papst Franziskus.
Darin fordert er eine Mediation unter internationaler Vermittlung mit dem Ziel, einen friedlichen Prozess in Richtung Unabhängigkeit zu gewährleisten: Mit einem drohenden Unterton heißt es darin: „Es liegt im Interesse beider Seiten und der Welt, dass dieser Prozess erfolgreich ist, da eine geordnete und friedliche Lösung der Situation das einzige Mittel ist, um eine europäische Krise abzuwenden.“ Dies ist eine Aufforderung zur Einmischung in die inneren Angelegenheiten Spaniens und damit auch in die der EU. Doch kein Staatsoberhaupt wäre dabei ein neutraler Mediator, sondern würde seine eigenen Interessen verfolgen.
Selbst im Falle einer Aufhebung des Autonomiestatuts hätten ausländische Staaten kein Recht, sich in diesen innerstaatlichen Konflikt einzumischen. Schließlich geht es dabei nicht um einen „Ausnahmezustand“ oder eine „Zwangsverwaltung“. Artikel 155 der spanischen Verfassung darf nur zum Zweck einer Wiederherstellung der verfassungsmäßigen Ordnung angewendet werden. Auch im Herbst 2017 „wurde kein zentralstaatlicher Regierungskommissar eingesetzt. […]. Die Tätigkeiten der katalanischen Regierung als Kollegialorgan wurden von der Zentralregierung erledigt.“ (García Morales, María Jesús 2019) Die Rechte des Regionalparlaments wurden eingeschränkt und dessen Kontrollrechte auf den spanischen Senat übertragen.
Diese Form der zentralstaatlichen Territorialverwaltung ist selbst in den demokratisch verfassten EU-Mitgliedstaaten und anderen europäischen Staaten die Regel, wohingegen Autonomiestatute wie in Spanien, im Vereinigten Königreich und Italien, oder gar bundesstaatliche Modelle wie in Deutschland oder Österreich Ausnahmen geblieben sind.
Hier könnten sich die Katalanen bewähren und konstruktiv dazu beitragen, dass sich weitere europäische Staaten dezentralisieren und ihren Regionen mehr Mitspracherechte auf nationaler und europäischer Ebene zugestehen. Bisher spielte Barcolona keine Vorbildrolle, sondern trug eher dazu bei, dass Autonomiestatute in Verruf geraten, weil sie nach dem Vorbild Kataloniens die territoriale Integrität europäischer Staaten gefährden könnten. [S. 13 f.]