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30.08.2024 (aktualisiert: 04.09.2024)
Bildquelle: Niedersächsisches Umweltministerium Transparent refugees welcome – Willkommens- und Anerkennungskultur – Wikipedia, 15.11.2015, https://de.wikipedia.org/wiki/Willkommens-_und_Anerkennungskultur#/media/Datei:Nieders%C3%A4chsisches_Umweltministerium_Transparent_refugees_welcome.jpg
♦ Mein Interesse an der Migrationsforschung ergab sich aus Arbeiten über die Integation von Muslimen in Europa, die ich nach dem 11.9.2001 aufgenommen hatte. Ich erkannte, dass Grundprobleme nicht gelöst wurden und dennoch immer mehr Migranten aus dem Nahen Osten und Nordafrika in die EU bzw. nach Deutschland kamen. Deshalb interessier(t)e mich der rechtliche Rahmen zur Steuerung von Migration und die Frage, inwieweit er im Einklang mit Internationalen Verträgen steht.
♦ Im Ergebnis stellte ich fest: Migration gehört zur Geschichte der Menschheit. Doch haben Länder nur in Extremfällen ihre Siedlungsräume nicht mehr kontrolliert wie derzeit Deutschland. Dessen Verzicht auf den Grenzschutz kann sich weder auf das Europarecht noch auf das Völkerrecht stützen, die auf dem Modell des Nationalstaats beruhen. Danach sind UN- bzw. EU-Mitglieder souverän hinsichtlich ihrer Aussengrenzen und haben die Pflicht, ihre Bevölkerung zu schützen.
♦ Diese elemantaren Kenntnisse des Europa- und Völkerrechts sind bei Sozialwissenschaftlern heute kaum noch vorhanden. Die Defizite speisen sich aus verschiedenen Quellen: spezialisierte Studiengänge und eine oft vorgetäusche interdisziplinäre Zusammenarbeit. Dies verhindert die Verständigung über wissenschaftliche Begriffe (z.B. Differenzierung: Nation – Nationalismus), führt zu Mehrdeutigkeiten, Mißverständnissen und fachlichen Grabenkämpfen.
♦ Als Politologin fällt mir auf, dass der Methoden- und Theorienmix in der Migrationsforschung oft nur vorgetäuscht wird und somit kaum zur Lösung von gesellschaftlichen Anforderungen beiträgt. Selten wird zugegeben, dass Interessensgruppen dabei steuernd eingreifen: Seit den 1990er Jahren fördern private Stiftungen von Wirtschaftsunternehmen bestimmte Ansätze. Seit rund 10 Jahren mischen immer stärker politische Stiftungen und staatliche Institutionen mit.
Abbildung 1: Die drei Phasen der
Migratationsforschung in Deutschland (1949 – 2024)
Quelle: Eigene Zusammenstellung [Sabine Riedel], basierend auf den angegebenen Websites der Institutionen sowie das Verzeichnis der Deutschen Gesellschaft für Soziologie, vgl. soziologie.de, 11.1.2021.
♦ Selten denken Wissenschaftler abseits ihres Forschungsthemas über die Kontexte ihrer Arbeiten nach. Viele geben sich damit zufrieden, dass ihr Ansätze oder Thesen kaum publik werden und stattdessen Kollegen im Zentrum des Diskurses stehen. Ohne die Leistungen solcher «Genies» anzuzweifeln, sind Fragen zum Agenda-Setting für die Forschung höchst relevant. Dies soll am Beispiel der Migrationsforschung in Deutschland gezeigt werden (vgl. Abbildung 1).
♦ Darin lassen sich drei Phasen erkennen: In der alten Bundesrepublik gab es eine institutionalisierte Forschung, die Daten zur Bevölkerung und Migration sammelte und der Öffentlichkeit zur Verfügung stellte. Seit den 1970er Jahren betrieben staatliche Institute wissenschaftliche Studien zur Arbeitsmarktpolitik und orientierten sich dabei an universitären Standards. Mit der Wiedervereinigung (1990) sollte sich diese Forschungslandschaft grundlegend ändern.
♦ Die zweite Phase begann 1991, als der Stifterverband der Deutschen Wissenschaft und somit Wirtschaftsunternehmen die Migrationsforschung entdeckten. Sie setzten ihre Agenden im Rahmen einer freien universitären Forschung. Zwar finanzierten sie vor allem die Universität Osnabrück. Doch schränkte dies anderer Univesitäten nicht ein (Trier, Suttgart, Bamberg, Bielefeld, Duisburg-Essen, Mannheim). Sie alle bereicherten die staatliche Arbeitsmarktforschung durch gesellschaftliche Perspektiven.
♦ Die dritte Phase begann 2000 mit der Gründung des Berliner Instituts für Bevölkerung und Entwicklung. Über diesen «Thinktank» steuern Staat und Wirtschaft «wissenschaftliche Informationen in verständliche Sprache» (berliner-institut.de 2024). Die Erstellung wissenschaftlicher Expertisen überlassen sie dem Institut für Migrationsforschung (BIM) der Humboldt-Universität, auf das sich nun die öffentliche Förderung konzentriert. Andere universitäre Einrichtungen wurden dagegen geschleift (vgl. EFMS Bamberg 2019).
♦ Die heutige Migrationsforschung in Deutschland befasst sich nur noch am Rande mit den negativen Folgen der Migrationspolitik, z.B. der Wohnungsnot, der steigenden Gewaltkriminalität oder der Altersarmut unter der deutschen Bevölkerung (saechsische.de, 30.8.2024). Stattdessen arbeitet ein Team junger, internationaler Akademiker am «Nationalen Diskriminierungs- und Rassismusmonitor» (dezim-institut.de, 2024). Die von der deutschen Regierung und Wirtschaft «bestellte Migrationsforschung» verteidigt offenbar ihre Besitzstände.
Vertreter der Wissenschaft: Prof. Dr. Bernd Kasparek,
Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung (BIM), Humboldt-Universität zu Berlin
«Daher ist eine grundlegende Reform der [Europäischen Grenzschutz-] Agentur [FRONTEX] unabdingbar. Kern der Reform muss ein Entzug von Kompetenzen und Budget sein, beispielsweise um damit endlich einen europäischen zivilen Seenotrettungsmechanismus zu schaffen und zu finanzieren. Und auch die Aufgabe der Erstaufnahme und Registrierung von Schutzsuchenden an Europas Grenzen muss nicht durch Grenzschutzbeamte erfolgen. […]
Wichtigster Punkt der Reform muss jedoch tatsächlich sein, dass die Agentur sich den in der EU geltenden Grundrechten und Gesetzen unterwerfen und diese auch pro-aktiv an den Grenzen Europas durchsetzen muss. So könnte die Gewalt an den Grenzen Europas, der unerklärte Krieg gegen Schutzsuchende, endlich beendet werden und die fatale europäische Verschränkung zwischen Migrationspolitik und Grenze aufgehoben werden.» Quelle: JBÖS 2022/23: 591
♦ Kommentar 1: Die Analyse heutiger Experten basieren immer weniger auf geprüften Daten, sondern speisen sich zunehmend aus ideologischen Annahmen. Hierzu ein Zitat in der linken Spalte: Der Autor möchte der europäischen Grenzschutzbehörde FRONTEX hoheitsrechtiche Kompetenzen für den Schutz der EU-Aussengrenzen entziehen, die sie gar nicht hat. Denn: «Die Durchführung von Grenzkontrollen […] erfolgt durch die Grenzschutzbeamten [der EU-Mitgliedstaaten, S.R.] gemäß dieser Verordnung und nationalem Recht.» (Art. 16, Schengen-Vertrag 2016).
♦ Kommentar 2: Was der Autor vorschlägt, ist der Entzug nationalstaatlicher Kompetenzen zugusten einer europäischen Agentur mit zivilgesellschaftlichen Charakter. Den EU-Grenzschützern wird unterstellt, sie führten einen «Krieg gegen Migranten». Gewalt, die von der Schleuserkriminalität oder illegalen Einwanderern ausgeht, wird tabuisert, um eine Übertragung von nationalen Hoheitsrechten auf Brüssel zu rechtfertigen. Eine solche Behörde würde mehr als 100.000 Beamte erfordern, das Doppelte des heutigen EU-Apparats (Riedel 2020: 16) .
Vertreter der Politik: CDU-Chef Friedrich Merz fordert eine Wende in der deutschen Migrationspolitik!, in: nius.de, 27.8.2024
Quelle: Eigene Zusammenstellung [Sabine Riedel], auf der Basis von: BAMF 7/2024: 11
Abbildung 2:
BAMF-Entscheidungen über Asylanträge
1/2015 ─ 7/2024 (2.951.530 Fälle)
«Merz will alle Asyl-Bewerber aus sicheren Drittstaaten, also nahezu alle Asyl-Bewerber, auf Basis der Dublin-Verordnung der EU an der deutschen Außengrenze zurückweisen. „Wir müssen an den und über die deutschen Staatsgrenzen steuern und begrenzen. […]
Sollten dem Plan EU-Rechte im Weg stehen, so Merz, „dann haben wir nach Artikel 74 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union das Recht und – wie ich finde, mittlerweile angesichts der Lage – die Pflicht, eine nationale Notlage zu erklären im Hinblick auf die Flüchtlinge.“ Im Fall einer Notlage stünde deutsches Recht dann über EU-Recht.»
♦ Kommentar 1: Deutsche Parteipolitiker verlassen sich heute auf eine von ihr selbst bestellte Migationsforschung. Deshalb unterlaufen ihnen Entscheidungsfehler, vor allem bei komplexen Europafragen. Nach gut neun Jahren Migrationskrise fordert CDU-Chef Friedrich Merz nun von der Ampelregierung einen Kurswechsel. Er gibt zu, dass Deutschland bereits unter der CDU-Vorgänger-Regierung die Dublin-Verordnung (2013) und damit europäisches Recht nicht angewendet hat. Danach müssen Asylbewerber ihren Antrag in dem EU-Land stellen, in das sie zuerst eingereist sind (Dublin-Fälle, vgl. Abbildung 2)
♦ Kommentar 2: Bei der Einführung von Kontrollen an deutschen Aussengrenzen, d.h. EU-Binnengrenzen, ist sich Merz beim EU-Recht unsicher (vgl. linke Spalte). Er spricht von Artikel 74 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU, meint aber Artikel 78 (3). Merz leistet sich weitere Schwächen: Befindet sich ein EU-Staaten durch einen «plötzlichen Zustrom von Drittstaatsangehörigen in einer Notlage, so kann der [Europäische] Rat [!] auf Vorschlag der Kommission [!] vorläufige Maßnahmen zugunsten der betreffenden Mitgliedstaaten erlassen.» (VAEU 2016) Dieser Vertrag hilft ihm und Deutschland nicht weiter.
♦ Kommentar 3: Derjenige Vertrag, der den Mitgliedstaaten selbst Handlungsspielräume lässt, ist der Schengen-Vertrag. Artikel 25 erlaubt den Mitgliedstaaten «unter außergewöhnlichen Umständen die Wiedereinführung von Kontrollen an allen oder bestimmten Abschnitten seiner Binnengrenzen für einen begrenzten Zeitraum» (Art. 25, Schengen-Vertrag 2016) Es bedarf also keiner «nationalen Notlage» und keiner Erlaubnis der EU-Kommission oder des Rats. Es geht allein um die Durchsetzung nationaler Interessen.
♦ Kommentar 4: Die Daten das Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) sind ein Spiegel des Versagens deutscher Sicherheitsbehörden. Sei 2015 hat das BAMF nur 1 Prozent der Anträge nach nationalem Asylrecht anerkannt. Doch 26 Prozent erhielten nach EU-Recht einen Flüchtlingsstatus, 18 Prozent einen subsidären Schutz und 5 Prozent ein Abschiebungsverbot. Die übrigen 50 Prozent oder 1,5 Millionen Antragssteller hätten seitdem sofort abgeschoben werden müssen. Insgesamt 29 Prozent wurden abgelehnt, allein 21 Prozent (625.808) waren Dublin-Fälle (BAMF 7/2024: 11)
Gerald Knaus, Leiter des «Think-Tanks» Europäische
Stabilitätsinitiative (ESI), Berlin, finanziert durch Stiftungen großer Wirschaftsunternehmen, in: rp-online.de, 3.9.2024
«Der Migrationsforscher Gerald Knaus hält die Forderung der CDU, alle Asylbewerber an den deutschen Grenzen zurückzuweisen, für rechtlich unzulässig. […]
KNAUS – Nein, das geht nicht. Das gültige EU-Recht ist in dieser Frage glasklar. Die Urteile des Europäischen Gerichtshofs von 2023 bestätigten noch einmal, dass das derzeit nicht möglich ist. Ungarn wurde dafür verurteilt, dass es Asylsuchende ohne Verfahren an den europäischen Außengrenzen abwies. An den Binnengrenzen der EU ist es noch weniger möglich. Die Rechtslage schließt das aus, das weiß jeder Jurist. […]
Die Union [CDU] hat Recht, dass der Staat derzeit keine Kontrolle über die irreguläre Migration hat. Recht hat sie auch, wenn sie sagt, man sollte auf sichere Drittstaaten setzen. Dabei würden Asylverfahren in Drittstaaten außerhalb der EU durchgeführt. Das ist 2016 mit dem EU-Türkei-Abkommen gelungen, die Zahl der Ankommenden fiel sehr schnell, auch die der Toten. Das sollte unbedingt rasch wieder versucht werden.»
Anmerkung: Zu den Financiers der ESI-Projekte gehören u.a. die Stiftungen von Rockefeller und George Soros, Norwegen (esiweb.org/capacity-building), die Mercator-Stiftung (www.stiftung-mercator.de), der German Marshall Fund (gmfus.org). Zu den Unterstützern zählen auch: das Bundesaussenministerium (insbes. die Bundesakademie für Sicherheitspolitik, baks.bund.de 2021) sowie die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (dgap.org).
♦ Kommentar 1: Der Migrationsexperte Gerald Knaus behauptet, die Zurückweisung von Asylbewerbern an den deutschen Grenzen verstoße gegen EU-Recht (siehe linke Spalte). Dieses Argument ist falsch und manipulativ. Er verengt den Diskurs über illegale Einwanderung auf Asylsuchende, die nur einen Bruchteil ausmachen. Vielmehr sind Grenzschutz, Migration und Asyl durch unterschiedliche Gesetze geregelt, selbst im EU-Recht. Der Schengenvertrag der EU bestätigt, dass Grenzkontrollen dem nationalen Recht unterstehen (Art. 16, Schengen-Vertrag 2016). Art. 25 erlaubt ggf. die Wiedereinführung von Kontrollen an den Binnengrenzen.
♦ Kommentar 2: Gerald Knaus führt das Beispiel Ungarn an: Der EuGH verurteilte das Land, weil es Asylsuchende an seiner Grenze abwies (EuGH, 22.06.2023). Grundlage war eine EU-Richtlinie, die aber bestätigt, dass auch Asylverfahren nach nationalem Recht ablaufen. Jedes EU-Mitglied kann verlangen, dass Asylanträge vor der Einreise gestellt werden (vgl. Art. 4 und 6, Richtlinie 2013/32/EU). Das Gericht hat das Gesetz anders ausgelegt. Dabei sollte man wissen: Die Richter werden von staatlichen Vertretern ernannt. Das politische System der EU kennt keine Gewaltenteilung.
♦ Kommentar 3: Gerald Knaus schlägt der CDU heute dieselbe Strategie vor wie 2016 der Regierung Angela Merkel: EU-Abkommen mit Drittstaaten. Danach soll die EU-Kommission (wie bei Mobilitätspartnerschaften) Kompetenzen in der Außen- und Sicherheitspolitik erhalten, die sie bislang nicht hat. Doch schon das «EU-Türkei-Abkommen» (2016) stellte sich als Etiketten-Schwindel heraus. Dem EuGH zufolge ist es kein europäischer, sondern ein internationaler Vertrag zwischen EU-Mitgliedern und der Türkei (Riedel 2020: 25f.). Knaus spielt rhetorisch EU-Recht gegen nationales Recht aus. Absicht?
♦ Frage 1: In Anlehnung an die oben dargelegten Fakten und Argumente ergeben sich folgende Forschungsfragen: Wie sind im politischen System der EU derzeit die Kompetenzen in den Bereichen Grenzschutz, Migration und Asyl verteilt? Die Autorin hat hierzu publiziert und herausgearbeitet, dass es dabei um unterschiedliche Politikbereiche geht (Riedel 2020). Journalisten verwischen häufig diese Politikfelder oder die Handlungsebenen, ob aus Unkenntnis oder Vorsatz.
♦ Frage 2: Aus eigener Forschungsarbeit vor Beginn der Migrationskrise 2015 ist mir bekannt, dass alle EU-Mitglieder eine unterschiedliche Gesetzgebung zur Asylpolitik haben. In Italien und anderen EU-Staaten gibt es kein nationales Asylrecht, sondern nur rudimentäre Schutzmassnahmen (fluechtlingshilfe.ch, 10.6.2021, vgl. Riedel 2011). Hier greift die Dublin-Verordnung (2013) mit EU-Mindeststandards für den Flüchtlingsschutz. Hat Dublin etwa EU-Staaten aus der Pflicht genommen?
♦ Frage 3: Warum ließ Deutschland andere EU-Staaten beim Verstoß gegen die Dublin-Verordnung gewähren? Seit 2015 belasteten 625.808 Dublin-Fälle deutsche Behörden und ihre Steuerzahler. Welche Interessen stehen hinter einer Asylpolitik, die 11 Jahre gegen EU-Recht und internationale Verträge verstößt und sich dennoch auf Europarecht beruft? Welche Interessen stehen hinter Migrantenverbänden, die Deutschland und nicht die betreffenden EU-Länder verklagen?
♦ Frage 4: Eine wichtige Forschungsfrage betrifft den Europarat. Weil Medien und Politiker häufig die EU mit «Europa» gleichsetzen, werden Grenzen verwischt. Der Europarat vereint doppelt soviele Staaten auf Basis der Europäischen Menschenrechtskonvention (1950). Diese ist das entscheidende Rechtsdokument für Klagen gegen Menschenrechtsverstöße. Warum sind nur in Europa, d.h. vor dem Europarat, Menschenrechte einklagbar? Wie steht es um Amerika, Afrika und Asien?
♦ Aufgabe 1: Ohne die freie Entscheidung eines Wissenschaftlers bei der Auswahl theoretischer Ansätze, Methoden und Hypothesen kann nicht mehr von einer wissenschaftlichen Forschung gesprochen werden. Daher müssen die Geldgeber, ob staatliche oder wirtschaftliche Akteure, für wissenschaftliche Produkte nachweisen, dass sie auf das Ergebnis ihrer Auftragsarbeiten keinen Einfluss genommen haben. Diese Vorgehensweise müsste zum Standard gerade in der zur Zeit politisierten Migrationsforschung werden.
♦ Aufgabe 2: Bei wissenschaftlichen Produkten von Autorenteams muss dargelegt werden, wer konkret für relevante Aussagen verantwortlich ist. Denn gedankliche Innovationen entstehen zwar immer im kommunikativen Austausch und in Koopertionen. Doch bleiben sie eine Leistung des einzelnen Wissenschaftlers, dessen Verdienste nicht einem Kollektiv „geopfert“ werden dürfen. Wer sich als Autor solchen Regeln unterwirft, hat bereits der Anonymisierung seiner Beiträge und somit der modernen Form der Zensur zugestimmt.
♦ Aufgabe 3: Die Vergabe öffentlicher Gelder für die Migrationsforschung sollte einer Zentralisierung und Kontrolle der Forschungs-Agenden keinen Vorschub mehr leisten. Der wissenschaftliche Pluralismus und das kreative Potential unter Nachwuchswissenschaftlern kann nur gefördert werden, indem alle Unviersitäten Gelder erhalten, die eine Expertise bei Migrationsfragen vorweisen. Die Abwicklung der Soziologie zugunsten neuer Monopolstrukturen in der Forschungslandschaft zur Migration sollte gestoppt werden.
♦ Aufgabe 4: Eine Bedingung der Vergabe staatlicher Gelder sollte die Förderung der deutschen Sprache als Wissenschaftssprache sein. Zahlreiche historische Beispiele mahnen: Sprachenpolitik schafft oder zerstört kollektive Identitäten. Deutschland hat ein Interesse daran, sein kulturelles Erbe einschließlich seiner wissenschaftlichen Leistungen zu pflegen und an die nächste Generation weiterzugeben. Dies steht nicht im Widerspruch zur Internationalisierung der Wissenschaft, sondern fördert sie.
Riedel 2011, Sabine Riedel, Illegale Migration im Mittelmeerraum. Antworten der südlichen EU-Mitgliedstaaten auf nationale und europapolitische Herausforderungen, in: SWP–Studien S10/2011, April 2011, Stiftung Wissenschaft und Politik, Berlin, 35 Seiten.