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EINLEITUNG:

Dass Bürgerkriege und Staatszerfall entscheidende Ursachen von Migration und Flucht darstellen, bekommen die EU-Mitgliedstaaten derzeit direkt zu
spüren: Nach Angaben der Europäischen Grenzschutzagentur FRONTEX ist die Zahl der Migranten, die über die östliche Mittelmeerroute eingewandert sind, in der ersten Jahreshälfte auf ca. 400.000 gestiegen, d.h. sie hat sich im Vergleich zu 2014 vervielfacht (vgl. Abb. 1). Während Flüchtlinge aus dem Nahen Osten diesen Weg über Griechenland und die Türkei nehmen, kommen die Migranten 
aus Nordafrika über die zentrale Mittelmeerroute, d.h. über den Seeweg nach Europa. Deren Zahl ist seit 2011 kontinuierlich angestiegen und liegt derzeit bei 170.664 (2014)

Ursache hierfür ist der Staatszerfall Libyens seit dem Sturz von Muammar al-Gaddafi, der bei den ca. 2 Millionen internierten Einwanderern aus Subsahara-Afrika Hoffnungen auf eine Weiterfahrt nach Europa weckte. Der plötzliche Anstieg der Flüchtlingszahlen aus den Krisen- und Kriegsgebieten im EU-Nachbarschaftsraum vermischt sich jedoch mit dem altbekannten Phänomen der illegalen Zuwanderung. Schon im Jahre 2009 wurde die Zahl der Migranten ohne Aufenthaltspapiere von dem EU-Forschungsprojekt Clandestino auf 4,5 Millionen geschätzt, während die EU-Kommission von bis zu 8 Millionen  ausging. 

Seither ist die EU um ca. 500.000 illegale Einwanderer jährlich gewachsen. Die Forscher konnten zeigen, dass die meisten ganz legal in die EU kommen, z.B. mit einer Arbeitserlaubnis oder über eine visumsfreie Einreise. Viele kehren aber nicht in ihre Herkunftsländer zurück, sondern rutschen nach Ablauf ihrer Aufenthaltsfrist in illegale Beschäftigungsverhältnisse ab. Neuere Studien ergaben, dass heute schon ca. 30 Millionen Menschen in der EU illegal beschäftigt sind. Eine Politik der offenen Grenzen berücksichtigt weder die Ursachen von Flucht und Vertreibung, noch schätzt sie die Folgewirkungen für die EU Mitgliedstaaten ab. 

Schon heute sind Schleuser und kriminelle Netzwerke die Profiteure der schwachen Staatlichkeit auf dem Balkan. Wie NGOs nachweisen, haben sie die Visa-Liberalisierung mit der EU dazu genutzt, um Südosteuropa zu einen Umschlagplatz für Menschenschmuggel und Drogenhandel auszubauen. Auch in den südlichen EU-Mitgliedstaaten Italien und Spanien hat der unkontrollierte Zuzug ausländischer Arbeitskräfte in Millionenhöhe zur Erosion der öffentlichen Infrastruktur beigetragen. Deren Sozialsysteme stehen heute in Zeiten der Wirtschaftskrise am Rande eines finanziellen Kollapses. 

Grenzkontrollen dienen aber nicht nur zur Vorbeugung einer Ausweitung der illegalen Beschäftigung, sondern letztlich auch der Sicherheit der Flüchtlinge. Denn erst mit ihrer Registrierung erhalten sie einen international anerkannten Flüchtlingsstatus mit dem Recht auf ein Asylverfahren. In Deutschland wurden im Jahre 2014 immerhin 24,8 Prozent der Antragsteller als Flüchtlinge, aber nur 1,8 Prozent nach Artikel 16a des Grundgesetzes als asylberechtigt anerkannt. 

Weitere 35,2 Prozent (45.330 Anträge) sind Dublin-Fälle, also Antragsteller, die aus einem EU-Nachbarland eingereist sind. Weil der Flüchtlingsschutz z.B. in Griechenland, Spanien, Kroatien und Ungarn mangelhaft ist, oder gar kein nationales Asylgesetz existiert, wie in Italien, ist ein Streit über die Zuständigkeiten entbrannt. Dadurch wurde deutlich, dass eine von Brüssel zentralisierte Steuerung der Migrations- und Asylpolitik der falsche Ansatz ist. Denn die Neufassung des Dublin-Vertrags (Dublin-III-Verordnung 2013) hat nicht etwa die säumigen Staaten zur Einhaltung nationaler und internationaler Gesetze ermahnt, sondern stattdessen den »prüfenden Staat« für zuständig erklärt, also Länder mit relativ hohen Standards wie Deutschland (vgl. Abb. 17, S. 21). 

Vor allem aber hat der Streit um eine Verteilung der Flüchtlinge den Blick auf die Bekämpfung der eigentlichen Fluchtursachen erschwert. Dabei können weitere humanitäre Katastrophen im Mittelmeer sowie in Osteuropa nur verhindert werden, wenn die europäischen Staaten auch ihre Außenpolitiken überdenken. Es ist an der Zeit, dass sie selbstkritisch hinterfragen, inwieweit sie dazu beitragen, dass in den Krisengebieten des Nahen Ostens, Nordafrikas und in Osteuropa der Migrationsdruck stetig steigt. Das Arbeitspapier zeichnet nach, wie die Interessenslagen in der EU derzeit verteilt sind und welche Einsichten bereits spürbar werden. 

So weist allein der Beschluss des britischen Unterhauses gegen eine weitere militärische Eskalation in Syrien darauf hin, dass die Bevölkerung nach friedlichen Alternativen sucht. Selbst in den USA mehren sich jene Stimmen, die den Druck auf die reichen Golfstaaten erhöhen wollen, um dem gewaltsamen Islamismus den Geldhahn abzudrehen und Waffenlieferungen zu stoppen. Hier könnten sich die EU-Mitglieder bewähren und jene Erwartungen einlösen, die mit der Verleihung des Friedensnobelpreises an sie gerichtet wurden. Es liegt in ihrem eigenen Interesse, den Staatszerfall in ihrem Nachbarschaftsraum zu stoppen. […]