WAHLEN ZUM EU-PARLAMENT 2024
DIE FRAKTIONEN IM EU-PARLAMENT
POSITIONEN DER DEUTSCHEN PARTEIEN
NACHLESE: EINSCHÄTZUNG DER WAHL
WICHTIGE QUELLENTEXTE
Erstellt: 19.5.2024 Nachlese: 13.06.2024
Bearbeitete Bildquellen oben:
Axel Kirch, Friedensdenkmal (Küdinghoven, Bonn), 12. 06.2017 https://commons.wikimedia.org/wiki/File:2017-06-12-bonn-koenigswinterer-strasse-kirchstrasse-friedensdenkmal-kuedinghoven-17.jpg
European Parliament logo, wikipedia, 25.8.2023, https://de.wikipedia.org/wiki/Europ%C3%A4isches_Parlament#/media/Datei:EP_logo_CMYK_DE.svg
The Nobel Foundation: Der Friedensnobelpreis 2012
„Das norwegische Nobelkomitee hat entschieden, dass der Friedensnobelpreis 2012 an die Europäische Union (EU) verliehen wird. Die Union und ihre Vorläufer tragen seit mehr als sechs Jahrzehnten dazu bei, Frieden und Versöhnung, Demokratie und Menschenrechte in Europa voranzubringen.
In der Zwischenkriegszeit verlieh das norwegische Nobelkomitee mehrere Auszeichnungen an Personen, die sich für die Aussöhnung zwischen Deutschland und Frankreich einsetzten. Seit 1945 ist diese Versöhnung Wirklichkeit geworden. Das schreckliche Leid des Zweiten Weltkriegs hat die Notwendigkeit eines neuen Europas vor Augen geführt. In einem Zeitraum von siebzig Jahren hatten Deutschland und Frankreich drei Kriege geführt. Heute ist ein Krieg zwischen Deutschland und Frankreich undenkbar. Dies zeigt, wie durch gezielte Bemühungen und durch den Aufbau gegenseitigen Vertrauens historische Feinde zu engen Partnern werden können.“
WAHLEN ZUM EUROPÄISCHEN PARLAMENT – DEFIZITE AUS SICHT DER DEMOKRATIE-THEORIE
Europäisches Parlament, 2024
Freie und faire Wahlen sind das Kernelement der Demokratie. […].
Die nationalen Wahlbehörden stellen durch ihre Tätigkeit sicher, dass die Europawahl fair und frei von Einmischung und Manipulation abläuft. Maßgebend hierfür sind das Unionsrecht und die innerstaatlichen Rechtsvorschriften. Die Institutionen der EU leisten dabei Hilfestellung. […]
Quelle: europa.eu, Wahlen, 2024 [fette Schrift im Originaltext]
Quelle: Eigene Zusammenstellung nach: eurostat, Wahlberechtigte 2024
♦ Das Europäische Parlament wirbt in 2024 mit dem Slogan «freie und faire Wahlen [als] Kernelement der Demokratie» (europa.eu, Wahlen, 2024). Doch nutzt es den Wahlkampf nicht etwa, um mehr Kontrollrechte einzufordern. Diesem EU-Organ fehlen nämlich die Attribute einer demokratischen Institution. In einem System der Gewaltenteilung ist das Parlament die ausschließliche «gesetzgebende Gewalt (Legislative)», während die Regierung die exekutive und die Gerichte die judikative Gewalt innehaben (Bundestag.de, Gewaltenteilung). Das politische System der EU erfüllt dieses Kriterium nicht, denn das Initiativrecht für EU-Gesetze hat die EU-Kommission.
♦ Auch die Wahlen zum Europäischen Parlament erfüllen nicht die notwendigen Kriterien einer parlamentarischen Demokratie: Es gibt kein einheitliches «europäisches» Wahlgesetz und damit unterschiedliche Spielregeln in den einzelnen EU-Mitgliedstaaten. So gilt in Deutschland ein Wahlalter von 16 Jahren, in Polen von 18 (gov.pl, Elections). Die Bezeichnung «Europawahlgesetz» ist deshalb irreführend, weil es sich um ein nationales Gesetz der Bundesrepublik Deutschland handelt. Zudem geht es nicht um «Europa», das politisch der Europarat (coe.int) repräsentiert, sondern um die «Europäische Union», die nur etwa halb so groß ist.
♦ Die 27 Wahlgesetze der EU-Mitglieder regeln die Zulassung von Parteien auf nationaler Ebene. Die Abgeordneten des EU-Parlaments werden also nicht europaweit gewählt, sie repräsentieren nur die jeweiligen Mitgliedstaaten. Deshalb ist das EU-Parlament eine Art zweite Kammer, vergleichbar mit dem deutschen Bundesrat, den Landesvertretungen auf Bundesebene. Auch dort wird die Anzahl der Vertretung der Länder politisch festgelegt, nicht nach der Anzahl der Wahlberechtigten. Eine erste Kammer, d.h. ein vollwertiges Parlament, fehlt also auf EU-Ebene (vgl. linke Spalte).
WAHLEN ZUM EUROPÄISCHEN PARLAMENT – DEFIZITE AUS SICHT DER POLITIKWISSENCHAFT
Europäisches Parlament, 2024
Quelle: europa.eu, Wahlen, 2024 [fette Schrift im Originaltext]
Desinformation kann eine Bedrohung für die Gesellschaft darstellen, da sie die Demokratie schwächen, die demokratische Debatte verzerren, die Gesellschaft polarisieren und es den Bürgerinnen und Bürgern erschweren kann, ihre demokratische Entscheidung frei von Einmischung und Manipulation zu treffen. […]
Quelle: Eigene Zusammenstellung nach: eurostat, Wahlberechtigte 2024
♦ Bei den «Europawahlen» wird ein weiteres Demokratiedefizit sichtbar: Hier gilt nämlich nicht das Prinzip der Stimmengleichheit. Wie die deutsche Bundesregierung richtig schreibt: «Gleich ist eine Wahl, weil jede Stimme gleich viel zählt, und jede Art von Gewichtung unzulässig ist. Oder wie es im Englischen auch treffend heißt: One man – one vote.» (bundesregierung.de, Wahlrecht). Bei 359 Millionen wahlberechtigten Unionsbürgern stünden Deutschland 130 statt 96 Sitze im Europäischen Parlament zu. Malta und Luxemburg hätten statt 6 nur einen Abgeordnetensitz (vgl. Abbildung oben links).
♦ Eine stärkere Vertretung der bevölkerungsschwachen EU-Mitglieder wäre noch nachvollziehbar, nicht aber die Benachteiligung der bevölkerungsreichen Staaten wie Deutschland, Frankreich, Italien oder Spanien. Dadurch verstärkt sich die Stimmenungleichheit: 11 Wähler aus Deutschland haben das gleiche Gewicht wie ein Malteser oder ein Luxemburger oder drei Slowenen oder vier Iren (vgl. Abbildung linke Spalte). Zudem benachteiligt das deutsche Europawahlgesetz die eigenen Staatsbürger, wenn es nicht verhindert, dass EU-Doppelstaatler für beide Länder abstimmen (mdr.de, 25.03.2024, bundestag.de, 31.05.2023).
♦ Das Europäische Parlament wirbt also mit dem Slogan «freie und faire Wahlen» (europa.eu, Wahlen, 2024) und unterschlägt das Attribut «gleiche», das für Demokratien essenziell ist. Damit verstößt es gegen die eigenen Regeln (vgl. linke Spalte), keine Desinformationen zu verbreiten oder Manipulationstechniken einzusetzen. Dazu gehört das Herausreißen von «Informationen oder Inhalten» aus dem jeweiligen Kontext» (a.a.O.), so dass sie «für etwas ganz Anderes ausgegeben» werden. Genau das tut das Europäische Parlaments: Es gibt sich für eine demokratische Institution aus, die es nicht ist.
FRIEDEN IN EUROPA – EIN VERTRAGSZIEL DER EUROPÄISCHEN UNION
Vertrag über die Europäische Union
(konsolidierte Fassung 2016)
Quelle: VEU 2020, Vertrag über die Europäische Union [fette Schrift: Hervorhebung S.R.]
Artikel 3
(1) Ziel der Union ist es, den Frieden, ihre Werte und das Wohlergehen ihrer Völker zu fördern. […]
(5) In ihren Beziehungen zur übrigen Welt schützt und fördert die Union ihre Werte und Interessen und trägt zum Schutz ihrer Bürgerinnen und Bürger bei. Sie leistet einen Beitrag zu Frieden, Sicherheit, globaler nachhaltiger Entwicklung, Solidarität und gegenseitiger Achtung unter den Völkern, […].
(6) Die Union verfolgt ihre Ziele mit geeigneten Mitteln entsprechend den Zuständigkeiten, die ihr in den Verträgen übertragen sind. [… S.R.: Aussenpolitik, Sicherheit und Verteidigung gehören nicht dazu]“
♦ Die Förderung des Friedens ist laut Vertrag eines der Hauptziele und grundlegenden Aufgaben der Europäischen Union (vgl. linke Seite). Für deren Erfüllung sind jedoch nach wie vor die Mitgliedstaaten selbst verantwortlich. Sie koordinieren lediglich ihre außenpolitischen Interessen durch ihre Zusammenarbeit in den EU-Institutionen, darunter im Europäischen Parlament (ausführlicher: Thema 2023/6). Deshalb dürften die Abgeordneten vor allem die Interessen der Wähler ihres jeweiligen Mitgliedstaates vertreten.
♦ Wenn Abgeordnete des Europäischen Parlaments über Themen zur Außenpolitik, Sicherheit und Verteidigung diskutieren, kann dies zur Förderung des Friedens beitragen, auch wenn sie dabei ihre Kompetenzen überschreiten. Das Beispiel der Lieferung von Angriffswaffen wie Taurus an die Ukraine zeigt allerdings, dass Abgeordnete den Friedensauftrag auch leichtfertig zugunsten der Rüstungsindustrie umdeuten können (Europäisches Parlament, 29.2.2024, vgl. Thema 2024/1). Die Wahlen zum Europäischen Parlament bleiben trotz oder gerade wegen der Demokratiedefizite relevant.
Fraktionen im Europäischen Parlament 2019 – 2024
DIE DEUTSCHEN REGIERUNGSPARTEIEN IM EUROPÄISCHEN PARLAMENT: S&D, RENEW EUROPE, GREENS/EFA
SPD: 16 von 140 Sitzen der Fraktion der Progressiven Allianz der Sozialdemokraten, S&D [ Wahlen 9.6.2024: 14 von 135]
Quelle: socialistsanddemocrats.eu, 12.3.2024 [fette Schrift: Hervorhebung S.R.]
„Wir müssen unseren festen Willen aufrechterhalten, der Ukraine zu helfen. Die 13 Sanktionspakete gegen Russland, die Hilfe von 50 Milliarden Euro zur Unterstützung des ukrainischen Staates und die Ausbildung von 50.000 Soldaten sind Verpflichtungen, die fortgesetzt und mit den Waffen, die Selenskyj benötigt, aufgestockt werden müssen. Die Verwendung der eingefrorenen russischen Vermögenswerte in Höhe von 300 Milliarden Euro für die Lieferung von Kriegsgütern an die Ukraine ist ein unverzichtbarer Schritt. Es ist an der Zeit, die strategische Autonomie durch die Schaffung neuer Fähigkeiten voranzubringen, ohne unsere Bemühungen um unser Engagement für die NATO und ihre Abschreckungskraft zu verringern.“ […]
♦ Kommentar:
Die Fraktion S&D fordert von den 27 EU-Mitgliedstaaten noch mehr Solidarität mit der Ukraine als bisher geleistet. Sie betreffen sowohl die Finanzierung des ukrainischen Staats, der faktisch zahlungsunfähig ist, wie auch die Militärausgaben im derzeitigen Krieg. Die behaupteten «Verpflichtungen» gibt es in Wahrheit nicht: Kein EU-Mitglied hat einen Beistandsvertrag mit Kiew. Trotzdem zahlen alle die geforderten Ukraine-Hilfen nach dem bekannten EU-Schlüssel (Deutschland trägt 25 Prozent der Gesamtsumme), ohne Konditionalitäten wie etwa die Aufnahme von Friedensverhandlungen.
FDP: 5 / Freie Wähler: 2 von 102 Sitzen der Fraktion New Europe [Wahlen 9.6.2024: 5 + 3 von 79]
Quelle: reneweuropegroup.eu, We are Ukraine, 24.02.2024 [fette Schrift: Hervorhebung S.R.]
„Seit Beginn der unprovozierten groß angelegten Invasion Russlands in der Ukraine vor zwei Jahren hat die Fraktion Renew Europe im Europäischen Parlament kontinuierlich auf ehrgeizigere Maßnahmen und Entscheidungen auf EU-Ebene gedrängt, um das ukrainische Volk in seinem Freiheitskampf zu unterstützen. Unsere ständigen Forderungen nach mutigeren Sanktionen gegen Putin und seine Kumpane, mehr militärischer und finanzieller Unterstützung für Kiew und einer umfassenden Strategie zur Stärkung unserer Verteidigungsfähigkeiten und -industrien setzen die Mitgliedstaaten unter Druck, aber was die EU bisher erreicht hat, reicht nicht aus..“ […]
♦ Kommentar:
Auch die Fraktion New Europe fordert noch mehr Solidarität mit der Ukraine. Auch sie arbeitet dabei mit Halbwahrheiten: Die militärische Intervention Russlands verstößt zwar gegen Völkerrecht, doch wurde sie von der NATO provoziert: Die USA und Kiew planten bereits seit 2021 eine Rückeroberung der Krim und der abtrünnigen ukrainischen Gebiete Donezk und Lugansk (ksf-openukraine, 10.3.2021). New Europe drängt die EU-Mitgliedstaaten in Richtung Aufrüstung und militärische Eskalation gegen Russland. Damit überschreiten deren Abgeordneten deutlich ihr Mandat.
Grüne: 21 von 72 Sitzen der Fraktion Grüne / Europäische Freie Allianz (EFA) [Wahlen 9.6.2024: 12 von 53]
Quelle: greens-2024.eu, Ukraine [fette Schrift: Hervorhebung S.R.]
„[…] Wir unterstützen nachdrücklich die Zusammenarbeit mit der Ukraine auf ihrem Weg zum EU-Beitritt und setzen uns für ihre Integration in die Europäische Union ein. […] Darüber hinaus setzen wir uns dafür ein, den Übergang zu erneuerbaren Energien zu beschleunigen, um der Ukraine zu helfen und die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu verringern. Wir heben auch die beträchtliche Zahl von Flüchtlingen hervor, die aus der Ukraine fliehen, und unterstützen die Ausweitung der vorübergehenden Schutzmechanismen, um Vertriebenen Soforthilfe zu leisten. Insgesamt betrachten wir die Integration der Ukraine in die EU als entscheidend für die Förderung von Frieden, Unabhängigkeit und Solidarität in der Region.“ […]
♦ Kommentar:
Für die Fraktion Grüne / Europäische Freie Allianz bedeutet die Solidarität mit Kiew auch eine volle EU-Mitgliedschaft. Sie unterstützen vorbehaltlos eine Ukraine, die zur führenden Nation weltweit bei der Produktion von Atomstrom werden will, mit Hilfe von US-amerikanischer Konzernen (energoatom.com, 1.11.2024). Die EFA, deren Regionalparteien die staatliche Unabhängigkeit fordern (für Katalonien, Südtirol, Bayern etc.) steht aufseiten der ukrainischen Zentralregierung und schloss die russische Minderheit in Lettland aus ihrer Organisation (e-f-a.org, 08.04.022).
DIE DIE DEUTSCHEN OPPOSITIONSPARTEIEN IM EUROPÄISCHEN PARLAMENT: EVP, THE LEFT, ID
Quelle: eppgroup.eu, EU-Wahlen, [fette Schrift: Hervorhebung S.R.]
CDU/CSU: 29 von 177 Sitzen der Fraktion der Europäischen Volksparteien, EVP [Wahlen 9.6.2024: 29 von 186]
Wenn Russland nicht besiegt wird, wird es das Territorium und die Ressourcen der Ukraine nutzen, um europäische Staaten zu bedrohen, und Russland wird eine ständige Bedrohung für die europäische Sicherheit bleiben. Der einzige Weg, um einen dauerhaften Frieden auf dem europäischen Kontinent zu erreichen, ist die Niederlage des aggressiven Russlands in der Ukraine, wodurch das Fenster der Gelegenheit für die Umwandlung Russlands in ein normales, nicht aggressives europäisches Land geöffnet wird. […]
♦ Kommentar:
Die Fraktion der Europäischen Volksparteien, EVP stellt als stärkste Fraktion derzeit die EU-Kommissionspräsidentin. Unter ihrer Ägide wurde 2020 die Europäische Friedensfazilität (EFF) eingerichtet, ein Finanztopf zur Unterstützung ausländischer Armeen, darunter die der Ukraine. Im Jahre 2023 diente die EFF zur Einführung einer EU-Kriegswirtschaft. Sie soll eine EU-weite, staatlich finanzierte Verteidigungsindustrie aufbauen, auf die die Mitgliedstaaten keinen Zugriff mehr haben (Thema 2023/6). Die EVP geht offenbar davon aus, dass sich die EU bereits im Krieg mit Russland befindet.
Die Linke: 5 von 37 Sitzen der Fraktion The Left [Wahlen 9.6.2024: Die Linke: 3, BSW 6 von 36]
Quelle: left.eu, Peace, 24.02.2024[fette Schrift: Hervorhebung S.R.]
„An diesem dunklen Jahrestag rufen wir weiterhin zu Frieden und Diplomatie als einzige Lösung auf. Der Abzug der russischen Truppen aus der Ukraine ist das notwendige Ziel. Eine weitere Eskalation muss unbedingt vermieden werden, indem die EU und ihre Mitgliedstaaten zu diesem Zweck alle diplomatischen Mittel einsetzen. Das Erreichen eines Waffenstillstands ist von entscheidender Bedeutung, und die EU muss bei der Verwirklichung dieses Waffenstillstands eine entscheidende Rolle spielen, einschließlich der Formulierung sorgfältig gezielter, ordnungsgemäß umgesetzter Sanktionen gegen die Kreml-Elite und die Oligarchen. […]
♦ Kommentar:
Die Fraktion The Left – Die Linke hält im Gegensatz zu den zuvor genannten Fraktionen im Wesentlichen an den Positionen fest, die sich in den Minsker Vereinbarungen (2015 – 2022) wiederfinden. Deren Ziel war es, Waffenstillstände durchzusetzen und über stetige Verhandlungen eine Friedenslösung zu finden. Die Linke setzt explizit auf Diplomatie, allerdings in Kombination mit den bereits beschlossenen Wirtschaftssanktionen gegen Russland. Damit hofft sie politischen Druck auf Moskau auszuüben, um es zum Rückzug aus den besetzten ukrainischen Gebieten zu bewegen.
AfD: 9 von 59 der Fraktion Identität und Demokratie, ID [Wahlen 9.6.2024: 15 von 58]
Eine stabile Friedensordnung in Europa bedarf einer ausgewogenen Zusammenarbeit aller europäischen Staaten, deren legitime Sicherheitsinteressen dabei zu berücksichtigen sind. Die Rolle der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) bei der Stabilisierung von Krisenregionen in Europa und seiner Peripherie muss weiterentwickelt werden. […] Gleichzeitig fordern wir die Einhaltung des Nichteinmischungsgrundsatzes in innere Angelegenheiten von Staaten durch andere Mächte und nichtstaatliche Akteure. Dies gilt auch für die Einmischung der EU in die Angelegenheiten der Mitgliedstaaten. […]
Quelle: afd.de, Europawahl Programm 2024, S. 28 [fette Schrift: Hervorhebung S.R.]
♦ Kommentar:
Die Fraktion Identität und Demokratie, ID hat zum Ukraine-Krieg keine gemeinsamen Standpunkte entwickelt. Dies liegt u.a. an ihrem Selbstverständnis als Parteienbündnis, in dem jedes Land seine eigenen außen- und sicherheitspolitischen Interessen vertritt. So hebt die Alternative für Deutschland AfD in ihrem Europawahl Programm den Nichteinmischungsgrundsatz hervor, der für alle internationalen Organisationen gelte, auch auch für die EU. Danach müssen die Sicherheitsinteressen aller Staaten respektiert und durch eine gemeinsame Friedensordnung geschützt werden.
DIE FRIEDENSFRAGE DER DEUTSCHEN REGIERUNGSPARTEIN SPD, FDP, GRÜNE
Das Wahlprogramm der SPD,
Sozialdemokratische Partei Deutschlands, 2024
Der russische Angriff auf die Ukraine hat Krieg zurück auf den europäischen Kontinent gebracht. Aus der Entspannungspolitik unter Willy Brandt wissen wir, dass militärische Stärke wichtig ist, um das Friedensprojekt Europa zu schützen. Deshalb wollen wir den europäischen Pfeiler in der NATO stärken und mehr Verantwortung für unsere eigene Sicherheit übernehmen. Durch die dauerhafte Stationierung einer deutschen Brigade in Litauen sowie die von Olaf Scholz angekündigte Investition in die gemeinsame Luftverteidigung (European Sky Shield Initiative, ESSI) erhöhen wir unseren Beitrag zur NATO bereits qualitativ und konzeptionell – dieses Engagement wollen wir weiter ausbauen. […]
Quelle: spd.de, Wahlprogramm 2024, S. 23 [fette Schrift: Hervorhebung S.R.]
♦ Kommentar:
Der Krieg ist bereits 1999 nach Europa zurückgekehrt. Damals begann die NATO unter Beteiligung einer SPD-Regierung einen Krieg gegen Jugoslawien. Sie ergriff Partei für die albanischsprachige Minderheit in der serbischen Provinz Kosovo (vgl. Thema 2023/3). 25 Jahre später legen NATO und die SPD-geführte Bundesregierung den über Jahrzehnte aufgebauten Minderheitenschutz beiseite und unterstützen die Zentralregierungen der Ukraine und im Baltikum darin, ihre innerstaatlichen Regionalkonflikte militärisch zu «lösen». Diesen neuen Kurs bezeichnet die SPD beschönigend als «Zeitenwende» (spd.de, 19.10.2022).
Das Wahlprogramm der FDP
Freie Demokratische Partei, 2024
Die Ukraine muss den Krieg gewinnen.
Russland führt einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine, die nach Freiheit und Demokratie strebt. Wir stehen weiter fest entschlossen an der Seite der Ukrainerinnen und Ukrainer. Die Ukraine muss den Krieg gewinnen und ihre territoriale Integrität und Souveränität zurückerlangen. Dafür muss die EU die Ukraine weiterhin humanitär, finanziell, wirtschaftlich und militärisch stärker unterstützen – auch mit der zusätzlichen Lieferung dringend benötigter Waffensysteme wie dem Marschflugkörper Taurus. Dazu müssen die Kapazitäten der europäischen Rüstungsindustrie gesteigert werden. […]
Quelle: fdp.de, Europawahlen 2024 [fette Schrift: Hervorhebung S.R.]
♦ Kommentar:
Das Wahlprogramm der FDP ist auch auf Ukrainisch, Türkisch, Hebräisch, Russisch, Arabisch und Kurdisch verfügbar. Während die FDP diesen Sprachgruppen politische und soziale Teilhaberechte zugesteht, unterstützt sie wie die SPD das gewaltsame Vorgehen der Ukraine und des Baltikums gegen die russischsprachigen Minderheiten. Statt Lösungen für eine der Konfliktursachen des Ukraine-Kriegs anzubieten, spricht sie von «Sieg» durch die Lieferung von Angriffswaffen (Thema 2024/2). Was geschieht mit der pro-russischen Bevölkerung nach einer »Befreiung»? Etwa Vernichtung oder Vertreibung? Darüber liest man nichts.
Das Wahlprogramm der Grünen,
Bündnis 90 / Die Grünen, 2024
Gemeinsame EU-Auslandseinsätze sollten stärker vom Europäischen Parlament begleitet, kontrolliert und evaluiert werden. Wir verstetigen die Unterstützung der Ukraine im Rahmen der Europäischen Friedensfazilität (EPF) und stärken deren Einheit für Risikoanalyse und Rüstungskontrolle. Die Strukturen der EPF sollten so angepasst werden, dass die Verfügbarkeit der Mittel, die Planbarkeit der Ausgaben und die parlamentarische Kontrolle im Europäischen Parlament und den Mitgliedstaaten verbessert werden. Auch der Aufbau eines europäischen Luftverteidigungssystems ist für uns ein notwendiger Baustein einer gemeinsamen europäischen Sicherheitsarchitektur. […]
Quelle: gruene.de, Europawahlprogramm 2024, S. 70 [fette Schrift: Hervorhebung S.R.]
♦ Kommentar:
Beim Thema Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) vertreten die Grünen dieselbe Positionen wie SPD und FDP. Ihnen reicht die Koordinierung im Europäischen Rat nicht aus. Die notwendige Einstimmigkeit soll durch eine einfachen Stimmenmehrheit ersetzt werden. Noch lieber wäre ihnen die Übertragung nationaler Kompetenzen an die EU-Kommission wie im Falle der Währungs- und Handelspolitik. Wegen der Demokratiedefizite (siehe oben) würde dies allerdings noch weniger öffentliche Kontrolle bedeuten: Beispiel hierfür ist die Europäische Friedensfazilität (EFF), die von Frieden spricht, aber Aufrüstung meint (siehe oben CDU/EVP).
DIE FRIEDENSFRAGE DER DEUTSCHEN OPPOSITIONSPARTEIEN CDU, DIE LINKE, AFD
Das Wahlprogramm von CDU und CSU
Christlich Demokratische Union / Christlich-Soziale Union, 2024
Quelle: europawahl.cdu.de, 2024, S. 3 [fette Schrift: Hervorhebung S.R.]
Eine echte Verteidigungsunion schaffen. Europa muss mehr Verantwortung in der NATO tragen und die eigenen militärischen Fähigkeiten ausbauen. Die Bedrohung durch Russland ist real. […] Spätestens der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat offengelegt, dass zu wenig in die Verteidigung investiert worden ist. […] Wir wollen militärische Ausrüstung wie Kampflugzeuge, Kampfpanzer, Drohnen und Flugzeugträger gemeinsam mit europäischen Partnern entwickeln und beschaffen. Wir brauchen eine wehrtechnische Industriestrategie, damit die europäische Verteidigungsindustrie wächst und Schlüsselindustrien für die Sicherheit Europas auch in Europa bleiben. […]
♦ Kommentar:
Die Positionen von CDU/CSU zur Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) unterscheiden sich kaum von denen der Ampel-Regierung. Auch sie wollen eine Verteidigungsunion durch die Übertragung nationalstaatlicher Kompetenzen auf die EU-Kommission. Diese soll sowohl politische Entscheidungen fällen als auch die Wirtschaftsprozesse einer Europäischen Verteidigungsindustrie steuern. In nationaler Verantwortung bleiben die Finanzierung – Deutschland trägt 25 Prozent – und die Wehrpflicht: CDU-Vertreter plädieren für eine Wehrpflicht für Männer und Frauen (focus.de, 18.05.2024).
Die Linke und Bündnis Sahra Wagenknecht zur Europawahl, 2024
Quelle: die-linke.de, Europawahl, S. 68 [fette Schrift: Hervorhebung S.R.]
Quelle: bsw-vg.de, Europawahl, S. 15 [fette Schrift: Hervorhebung S.R.]
Wir werden keiner Veränderung der EU-Verträge zustimmen, die Schritte zu einer weiteren Militarisierung der EU umfassen. […].
Wir wollen die Streitkräfte in Europa abrüsten. Es braucht eine konventionelle Rüstungskontrolle in Europa nach dem Vorbild des A-KSE-Vertrags (Angepasster Vertrag über Konventionelle Streitkräfte in Europa). […]
Den Ukraine-Krieg auf dem Verhandlungsweg beenden: Wir fordern einen Waffenstillstand und die Aufnahme von Friedensverhandlungen. […]
Beibehaltung Einstimmigkeitsprinzip in der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) und der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP). […]
♦ Kommentar:
Im Unterschied zur Ampel-Regierung und der CDU/CSU positionieren sich die Linke und das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) gegen jedwede Aufrüstung auf EU-Ebene. Beide kritisieren Kompetenzübertragungen in der Sicherheitspolitik zugunsten europäischer Rüstungskonzerne und der Militarisierung der EU-Mitgliedstaaten. Sie halten dagegen am Friedensprojekt Europa fest, wofür die EU im Jahre 2012 den Friedensnobelpreis erhielt. Sie plädieren für sofortige Friedensverhandlungen im Ukraine-Krieg und dem Aufbau einer neuen europäischen Friedensordnung (die-linke.de, S. 70), die auch Russland einschließt (bsw-vg.de, S. 15).
Europawahl Programm der AfD,
Alternative für Deutschland, 2024
Von der Sanktionspolitik der EU ist Deutschland als Wirtschafts- und Exportnation auf katastrophale Weise betroffen. Jegliche Dominanz außereuropäischer Großmächte in der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik lehnen wir ab. Die Staaten Europas werden so in Konflikte hineingezogen, die nicht die ihren sind und ihren natürlichen Interessen – fruchtbaren Handelsbeziehungen im europäisch-asiatischen Raum – diametral entgegenstehen. […] Die Passivität der deutschen Bundesregierung nach der Sprengung der Nord-Stream-Pipelines zeigt das Ausmaß der Selbstaufgabe eines großen europäischen Staates. Auch Waffenlieferungen in Kriegsgebiete dienen nicht dem Frieden in Europa. […]
Quelle: afd.de, Europawahl Programm 2024, S. 8 [fette Schrift: Hervorhebung S.R.]
♦ Kommentar:
Auch die AfD will keine Verteidigungsunion auf EU-Ebene, jedoch aus anderen Motiven als Linke und BSW. Sie betont das Prinzip der Nichteinmischung in die nationalen Souveränitätsrechte. Diese Rechte würden von einer immer stärker werdenden EU-Kommission beschnitten, die von Großmächten wie den USA in Konflikte hineingezogen werde. Die AfD möchte, dass Deutschland den USA auf Augenhöhe begegnet, indem es eigene Interessen formuliert. Dazu gehören u.a. ein Stopp von Waffenlieferungen in Kriegsgebiete, Friedensverhandlungen im Ukraine-Krieg und eine europäische Friedensordnung unter der Ägide der OSZE.
Experten-Analysen:
Guntram Wolff, Universität Erfurt, 10.06.2024: „Wenn man Europa als Ganzes ansieht, dann sieht man, dass es einen deutlichen Anstieg der rechten bis rechtsradikalen Parteien im Europaparlament gibt. Die sogenannte Mitte, die die von-der-Leyen-Koalition bislang im Parlament getragen hat, ist zwar noch in der Mehrheit, aber sie ist deutlich geschrumpft.
Die Botschaft ist insofern: Es ist in ganz Europa ein Rechtsruck und ein Anstieg des Populismus zu sehen, wozu auch das Bündnis Sahra Wagenknecht gehört. […]“
Quelle: tagesschau.de, EU-Wahl [fette Schrift: Hervorhebung S.R.]
Kommentar:
♦ Die meisten Analysen behaupten, dass es einen «Rechtsruck» und Anstieg des «Populismus» gegeben habe (tagesschau.de, EU-Wahl, linke Spalte). Tatsache ist: Die Fraktion der amtierenden Kommissionspräsidentin EVP hat 9, und die EKR 5 Sitze dazu gewonnen. Das ist ein Anstieg von 1,9 Prozent. Sozialdemokraten und Sozialisten verloren nur 0,8 Prozent. Gewinner der EU-Wahlen sind die fraktionsunabhängigen Klein-Parteien mit einem Zuwachs von 50 auf 100 Sitze, d.h. von 100 Prozent. Deren politische Orientierung als «rechts» oder «populistisch» einzuordnen, ist gar nicht möglich.
Gabriele Abels, Universität Tübingen, 10.06.2024: „Das ist natürlich besonders dramatisch, wenn man sieht, dass die Präsidentenpartei [in Frankreich, S.R.] nur noch halb so gut abschneidet im Vergleich zum RN [Rassemblement National unter Marine Le Pen, S.R.]. Es gab eine Reihe von Verunsicherungen, die dazu geführt haben, dass man mit Europathemen – was Macron zum Teil versucht hat – letztlich nicht durchdringen konnte […]. „
Quelle: dw.com, 10.06.2024 [fette Schrift: Hervorhebung S.R.]
♦ Europaexperten erklären, dass die EU-Wahlen von von nationalen Themen in den EU-Mitgliedstaaten geprägt waren (linke Spalte). Wie auch sonst? Es kandidierten nationale Parteien. Die Wähler haben ihre Kandidaten beauftragt, eine Europapolitik im Einklang mit ihren regionalen und landesweiten Interessen zu verfolgen. Gibt es davon losgelöste «Europathemen»? Eher nicht. Selbst bei Migration, Klima, Wirtschafts- und Finanzpolitik gibt es unter den EU-Mitgliedern erhebliche Differenzen.
Dominik Grillmayer, Deutsch-Französischen Institut in Ludwigsburg, 11.06.2024: „In Frankreich hat man einen unaufhaltsamen Aufstieg von Marine Le Pen beobachtet, […]. Die «Dédiabolisation» – wortwörtlich «Entteufelung» – wie man im Deutschen sagt, hat beim RN funktioniert, indem man sich diffus äußert, man von radikalen Thesen ein Stück weit Abstand nimmt. [… Macrons] sehr liberalen Thesen kamen bei den jungen Leuten einfach schlechter an. Es wird ihm auch eine gewisse Arroganz, eine Abgehobenheit attestiert, was ihm nicht nur in den jungen Bevölkerung geschadet hat.“
Quelle: rbb24.de, 11.06.2024 [fette Schrift: Hervorhebung S.R.]
♦ Auch die Franzosen wählten Kandidaten, die zuerst ihre Interessen in Brüssel vertreten. Dazu gehört der RN unter Marine Le Pen (Zuwachs von 23 auf 30 Sitze), aber auch die Bewegung des Staatspräsidenten Macron «Renaissance» (Verlust von 23 auf 13 Sitze). Frankreichexperten sehen eine Verschiebung von Mitte nach Rechts. Eine andere Erklärung lautet: Immer weniger Franzosen akzeptieren Macrons Kriegskurs: Bereits 2023 setzte er in der EU eine Kriegswirtschaft durch, zugunsten französischer Rüstungskonzerne (euractiv.de, 29.03.2024). Demnächst will er französische/westliche «Ausbilder» in den Ukraine-Krieg schicken. Bald auch Soldaten?
afd.de, Europawahl Programm 2024, Alternative für Deutschland, Europa neu denken!
bsw-vg.de, Europawahl, Bündnis Sahra Wagenknecht, Programm für die Europawahl 2024.
bundesregierung.de, Wahlrecht, Die Bundesregierung, Allgemein, unmittelbar, frei, gleich und geheim. Die fünf Grundsätze des Wahlrechts, Berlin, 02.07.2021.
bundestag.de, 31.05.2023, Deutscher Bundestag, Wissenschaftliche Dienste, Titel: Regelungen zur doppelten Staatsangehörigkeit in der EU und in Nordamerika, Berlin, Untertitel: Aktualisierung des Sachstands WD 3 – 30.
bundeswahlleiterin.de, 21.02.2024, Europawahl 2024: Bis zu 64,9 Millionen Wahlberechtigte in Deutschland, Pressemitteilung Nr. 06/24 vom 21. Februar 2024.