THEMA 2022 / 2
SABINE RIEDEL
Vgl. PUBLIKATION: Die Ukraine im nationalen Identitätskonflikt. Die Rechte der russischsprachigen Bevölkerung waren und bleiben friedensentscheidend, in: Forschungshorizonte Politik & Kultur, Vol. 6, 2022/4, 2022 June 6, 30 S.
„Andrij Waskowycz: Der Krieg [in Donezk und Lugansk] wird verdrängt, weil man für die Probleme, die dieser Krieg mit sich bringt, keine Lösungen hat. Es fehlt die Vorstellung, wie dieser Krieg beendet werden kann. Und dabei fordert er täglich neue Opfer. Menschen werden durch Beschuss oder durch explodierende Minen getötet. Die Pufferzone, in der die Kriegshandlungen stattfinden, ist die am zweistärksten verminte Region der Welt. Deswegen können die Menschen in der Pufferzone ihr Land nicht bebauen.
Sie leben dort in einem ständigen Ausnahmezustand. Sie haben Schwierigkeiten, ihren Basisbedarf an Nahrungsmitteln und Gesundheitsversorgung zu decken. Die Kinder haben es schwer, eine Schule zu erreichen, sie müssen oftmals weit laufen. Außerdem haben sie sehr viel Gewalt gesehen oder waren tagelang unter Beschuss und haben in Kellergeschossen Bombardierungen miterlebt. …“
(Zitat aus einem Interview mit dem Präsidenten der Caritas Ukraine, in: Caritas International: 23)
Seit Anfang 2022 verdrängt die Ukraine zeitweise Corona vom ersten Platz der Schlagzeilen. Seit gut acht Jahren schwelt der bewaffnete Konflikt im Osten der Ukraine, in Donezk und Lugansk, ohne dass dessen Ende in Sicht wäre. Im Gegenteil klagt die dortige OSZE-Mission über Verletzungen des Waffenstillstands-Abkommens von Minsk (15.2.2015), das unter der Schirmherrschaft Russlands, Frankreichs und Deutschlands zustande gekommen war. Der jüngste OSZE-Bericht wirft den Rebellen wie auch den ukrainischen Regierungstruppen vor, die Zerstörung ziviler Infrastruktur in Kauf zu nehmen. Doch anders als im Syrienkonflikt, wo die Medien großes Verständnis für das Leid der Zivilbevölkerung zeigen, berichten sie kaum über das Leid der ca. 3 Millionen Menschen in der Ostukraine und der etwa 1,5 Millionen Geflüchteten. Dabei zeichnet sich dort „die größte humanitäre Katastrophe in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg“ ab (Caritas International).
Statt an der Entwicklung von Friedenskonzepten mitzuwirken, diskutieren deutsche Politiker derzeit allen Ernstes über Waffenlieferungen an die Ukraine. Doch würden sie damit nicht nur eine Kriegspartei unterstützen, sondern auch gegen das Minsker Abkommen verstoßen. Aus welchem Grund gefährden Politik und Medien mit solchen Vorschlägen leichtsinnig die OSZE-Mission, die u.a. auf Initiative der deutschen Regierung zustande kam? Um Russland zu zwingen, sein massives Truppenaufgebot von der ukrainischen Grenze wieder abzuziehen, lautet die Antwort. Sie zeigt deutlich, dass der innerukrainische Konflikt immer stärker von sicherheitspolitischen Interessen externer Akteure überlagt wird, die nicht mehr offengelegt werden. Die Öffentlichkeit wird über die wahren Hintergründe getäuscht und in dem Glauben gelassen, es gäbe keine Lösung für diesen Konflikt.
Der folgende Beitrag möchte darauf aufmerksam machen, dass es Lösungsansätze gibt, die schon vor Jahren in der Ukraine selbst entwickelt und breit diskutiert worden waren. Um diesem Vergessen entgegenzuwirken, wird der innerstaatliche Konflikt der Ukraine aus dem Blickwinkel verschiedener Faktoren beleuchtet. Ihnen liegt die Hypothese zugrunde, dass es sich hierbei um eine Identitätskrise handelt, die aufs Engste mit der Staatsgründung und Nationswerdung der Ukraine seit 1992 verbunden ist. Die zentrale Herausforderung lautet damals wie heute, wie Kiew mit seinem kulturellen Erbe umgeht. Soll sich der Staat auf einige wenige Geschichtsnarrative reduzieren oder verfügt er über andere Möglichkeiten, um dem gesamten kulturellen Reichtum seiner Geschichte und seiner Bevölkerung gerecht zu werden?
DER PSYCHOLOGISCHE FAKTOR: ÜBERTRAGUNG UND PROJEKTION AUF ANDERE AKTEURE
♦ Im Konflikt zwischen Russland und der Ukraine spielen psychologische Projektionen eine zentrale Rolle. Darunter verstehen Seelenforscher wie C.G. Jung die Zuschreibung eigener Wesenszüge oder Absichten auf andere. Meist stehen dahinter verborgene Ängste oder Schuldgefühle (stangel.eu). Sie können Ausdruck einer labilen Persönlichkeit oder von Identitätskrisen sein.
♦ Dieser Ansatz beruht auf dem Begriff des „kollektiven Unterbewussten“. Er bezeichnet jenen Teil einer Persönlichkeit, der nicht die eigenen Erfahrungen umfasst, sondern die historischen, gesellschaftlichen und kulturellen Kontexte, in denen eine Person hineingeboren wurde. Deshalb lässt sich der Begriff der psychologischen Projektion auch auf Gesellschaften überragen.
♦ Dieses Konzept kann zur Analyse inner- und zwischenstaatlicher Konflikte beitragen, weil es tiefer liegende Strukturen und Motive der Akteure freilegt. Die Ukraine ist ein besonders anschauliches Beispiel: Denn mithilfe der psychologischen Projektion kann sie ihre Identitätskrise, die in Donezk, Lugansk und auf der Krim manifest geworden ist, auf einen äußeren „Feind“ ablenken.
♦ Die Ukraine profitiert von Identitätskrisen in Russland, das seit Auflösung der Sowjetunion einen Prozess der Nationswerdung erlebt. Moskau verfolgt einen liberalen Kurs gegenüber Minderheiten, während die Ukraine ihre staatliche Identität in einer nationalistischen Staatsdoktrin verortet. Diese projiziert sie auf Russland, um Menschenrechtsverstöße im eigenen Land zu rechtfertigen.
IDENTITÄTSFAKTOR GESCHICHTE: DAS ERBE DER KIEWER RUS TRENNT ODER VERBINDET
♦ Für den ukrainischen Staatspräsidenten Wolodymyr Selenskyj ist die Kiewer Rus (10.–13.Jh.) „nicht Teil unserer Geschichte, das ist unsere Geschichte“ (gov.ua, 28.7.2021). Der Gedenktag am 28. Juli stehe für die „Unauflöslichkeit beider Staaten“. Unter seinem Vorgänger wurde sogar eine Petition zur Umbenennung der Ukraine in Kiewer Rus lanciert (Petition 30.3.2016).
♦ Ihren Anspruch auf das Erbe der Kiewer Rus richtet die Ukraine an Russland, das dieses Großreich ebenso als Teil seiner Staatlichkeit betrachtet (Kapeler 2019, kremlin.ru, 12.7.2021). Es umfasste das Vierfache des ukrainischen Teils. Weil sich das Machtzentrum früh von Nowgorod nach Kiew verlagerte, gaben russische Historiker im 19. Jh. diesem Reich den Namen „Kiewer Rus“.
♦ Mit dem Eindringen der Mongolen zerfiel die Kiewer Rus. Ihr heutiger ukrainischer Teil geriet unter die Herrschaft litauischer und polnischer Fürsten. Ab dem 16.Jh. gehörte er zur Adelsrepublik Polen-Litauen (pol. Rzeczpospolita). Trotz religiöser Toleranz dominierte dort der Katholizismus, so dass die Moskauer Fürsten an das kulturelle Erbe der Kiewer Rus anknüpfen konnten.
♦ Seit Mitte des 17. Jahrhunderts stand Kiew wieder unter russischer Herrschaft, die sich Ende des 18. Jahrhunderts auf den Großteil der historischen Kiewer Rus ausdehnte. Dabei lag das Gebiet, das damals als Ukraine (dt. Grenzland) bezeichnet wurde, ganz im Süden an der Grenze zum Khanat der Krimtataren, das den militärischen Schutz des Osmanischen Reichs genoss.
Maximale Ausdehnung der Kiewer Rus
(10. – 13. Jh.)
Quellen: Eigene Zusammenstellung zweier Karten (Beschriftung: S.R.):
1. Europe blank laea location map.svg, Wikimedia, 9.3.2020,
2. Die Ausdehnung der Kiewer Rus um 1000 n. Chr., Wikipedia, 3.2.2006 [erstreckt sich über Ukraine, Weißrussland, Russland].
Maximale Ausdehnung der Adelsrepublik
Polen-Litauen (16. – 18. Jh.)
Quellen: Eigene Zusammenstellung zweier Karten (Beschriftung: S.R.):
1. Europe blank laea location map.svg, Wikimedia, 9.3.2020,
2. Verwaltungsgliederung Polen-Litauen, Wikiwand [erstreckt sich über Polen, Litauen, Lettland, Estland, Ukraine, Weißrussland, Teile Russlands].
Vgl. Sabine Riedel, Die Ukraine im nationalen Identitätskonflikt. Die Rechte der russischsprachigen Bevölkerung waren und bleiben friedensentscheidend, in: Forschungshorizonte Politik & Kultur, Vol. 6, 2022/4, 30 S., S. 6.
FAKTOR SPRACHE IM 20. JAHRHUNDERT: RUTHENEN, KLEINRUSSEN ODER UKRAINER?
♦ Die Namensgebung der heutigen Ukraine setzte sich erst mit Gründung der Sowjetunion (1923) durch. Als Teilrepublik mit Selbstverwaltungsrechten konnte Kiew seitdem ein eigenes Schrifttum mit einem eigenen Sprachstandard entwickeln. Bis dahin hatte das absolutistisch regierte Zarenreich aus Angst vor Aufständen sämtliche Publikationen auf Ukrainisch verboten.
♦ Der schriftsprachliche Vorläufer der heutigen ukrainischen Amtssprache war jedoch das Ruthenische, das in der polnisch-litauischen Periode als ostslawische Kanzleisprache gepflegt wurde. Linguistisch betrachtet gilt es als historische Sprachstufe sowohl für das Ukrainische wie auch für das Weißrussische und kann als Schwester bzw. Variante des Altrussischen betrachtet werden.
♦ Neben „Ukrainer“ und „Ruthenen“ bot sich Anfang des 20. Jh. der Name „Kleinrussen“ an. Er geht auf das 17. Jh. zurück und kennzeichnete jene Ostslawen, die nach Auflösung Polen-Litauens zu Untertanen Russlands wurden. Die ukrainische Nationalbewegung lehnte ihn ab (Filatova 2010: 18), weil er als Konzept für eine politische Vereinigung aller Ostslawen diente.
♦ Die ukrainische Amtssprache ist das Ergebnis der sowjetischen Kulturpolitik. Dazu gehörte eine Politik der Mehrsprachigkeit, die dem Russischen die dominante, weil verbindende Rolle zuwies. Diese funktionale Seite wird rückblickend als Unterdrückung gesehen und mit der russischsprachigen Minderheit personalisiert. So stehen deren Minderheitenrechte im Zentrum des Konflikts.
FAKTOR RELIGION: DIE ORTHODOXEN KIRCHEN IN DER UKRAINE SUCHEN DIE TRENNUNG
♦ Die Geschichte der Ukraine ist bis heute von Rivalitäten zwischen Kirchen und Glaubensgemeinschaften geprägt. Allerdings markierte das Ende der Sowjetherrschaft den Beginn einer bis dahin nicht gekannten Religionsfreiheit. Denn sie war – wie die Türkei – dem laizistischen Prinzip gefolgt, das keine Trennung kannte, sondern der Politik eine Kontrolle über die Kirchen sicherte.
♦ Die Unabhängigkeit der Ukraine löste interreligiöse Machtkämpfe aus: Die Rückgabe verstaatlichten Eigentums spaltete die Russisch-Orthodoxen Kirche (ROK). Obwohl die Orthodoxie entlang der staatlichen Selbstverwaltung organisiert ist, wurde die Ukrainisch-Orthodoxe Kirche (UOK) erst 2018 vom Ökomenischen Patriarchat in Istanbul anerkannt (orf.at, 12.10 2018).
♦ Die ROK unter Führung des Moskauer Patriarchats kämpfte in der Ukraine wie auch in Russland für Privilegien. Doch haben beide Staaten deren Anerkennung als Staatskirche abgelehnt und stattdessen alle Glaubensgemeinschaften rechtlich gleichgestellt. Dennoch konnte die ROK in Russland Sonderregeln wie die Befreiung von Steuern durchsetzen (Dobruskin 2006).
♦ Die enge Verbindung von Kirche und Staat birgt für die Ukraine eigene Gefahren (domradio.de, 8.9.2017). Denn mit ihrem Anspruch auf das historische Erbe der Kiewer Rus verlagert die Politik den Konflikt mit Russland auf die religiöse Ebene. Ihre Geschichtsmythologie macht die UOK zum Ursprung der Orthodoxie unter den Ostslawen. Das führt nicht zu mehr interreligiöser Toleranz.
FAKTOR RECHT: DIE ROLLE DES VÖLKERRECHTS IM UKRAINISCHEN IDENTITÄTSKONFLIKT
♦ Die ukrainische Identität tangiert das Völkerrecht seit 1945: Josef Stalin, Konstrukteur der Sowjet-Völker und ihrer Republiken, setzte bei Gründung der Vereinten Nationen (VN) durch, dass die Ukraine und Weißrussland eigene Mitglieder wurden. Er nahm das Risiko einer Abspaltung in Kauf, um der Sowjetunion mehr Einfluss auf VN-Entscheidungen zu geben (Schwenk 1969: 80).
♦ 1992 wurde die staatliche Unabhängigkeit der Ukraine international anerkannt, jedoch nicht infolge einer Sezession, sondern wegen des Zerfalls der Sowjetunion (Homann 1993). Diese völkerrechtliche Regel wurde auch auf die Nachfolgestaaten Jugoslawiens angewendet. Zudem hatten die 16 Sowjetrepubliken ein Austrittsrecht (nicht dagegen die deutschen Bundesländer).
♦ Mit der Konstituierung eines unabhängigen Staates wurden die Ukrainer zu einem vollständigen Völkerrechtssubjekt und damit zum Träger nationaler Souveränität. Doch innenpolitisch wuchsen sie nicht in diese neue Rolle einer politischen Willensnation hinein. Sie verblieben im Korsett einer durch Sprache definierten Nation aus der Sowjetzeit (Präambel, Verfassung 1996; Besters-Dilger 2011), das andere zu einer „Minderheit“ machte.
♦ Die ukrainische Verfassung spricht vom Schutz „nationalen Minderheiten“ (Art. 10 u.11). Doch setzte 1992 eine „Ukrainisierung“ und „Derussifizierung“ ein (Schmidt 1994: 12), die bis heute anhält. Das Bildungsgesetz vom 5.9.2017 führte zu Protesten u.a. aus Russland, Ungarn und Rumänien (bpb.de 2017). Sie fordern die Einhaltung von Menschenrechtsstandards des Europarats.
FAKTOR GEWALTENTEILUNG: DIE UKRAINE MIT ZENTRALER ODER FÖDERALER STAATSSTRUKTUR?
♦ Die Ukraine fürchtet den Separatismus schon seit ihrer Unabhängigkeit. Denn die Krim nutzte den Zerfall der Sowjetunion für eine Wiederherstellung ihres Status als autonome Republik, den Stalin im Jahre 1944 aufgehoben hatte. Da sie ab 1954 nicht mehr der russischen, sondern der ukrainischen Sowjetrepublik angehörte, entstanden in der Ukraine nun ganz neue Konfliktlinien.
♦ Die Forderungen der Krim nach Autonomierechten griffen ukrainische Dissidenten der Helsinkigruppe bereits in den 1980er Jahren auf. Sie diskutierten Staatsmodelle für eine dezentrale oder gar föderale Ukraine (Heran 2002: 103). Die Verfassung (1996) verwarf diese Konzepte und definierte die Ukraine als „unitarischen Staat“ (Art. 2). Nur die Krim hatte ein Autonomiestatut (1992).
♦ Schon im Jahre 2000 lebte der Diskurs um eine Dezentralisierung der Ukraine wieder auf. Staatspräsident Leonid Kutschma schlug Verfassungsreformen vor, darunter ein Zweikammerparlament mit Vertretung von 24 zu schaffenden Regionen und den Städten Kiew und Sewastopol. Im Referendum vom 16.4.2000 (cvk.gov.ua) wurde es mit 82 Prozent Ja-Stimmen angenommen.
♦ Wenige Monate später wurde das Reformprojekt vom Europarat gestoppt. Die Parlamentarische Versammlung war der Empfehlung der Venedig-Kommission gefolgt, die das Reformprojekt kritisierte. Sie nahm Anstoß an der starken Stellung des Präsidenten, unterschätzte aber die anvisierte Föderalisierung als Gegenwicht und innenpolitischen Interessensausgleich (venice.coe.int).
Prozentsatz der Menschen mit Ukrainisch als Muttersprache gemäß der Volkszählung von 2001 (nach Regionen)
Quelle: Percentage of people with Ukrainian as their native language according to 2001 census (by region), Wikipedia, 21.8.2008, Quelle dort: ukrcensus.gov.ua.
Die häufigste Muttersprache in städtischen und ländlichen Gemeinden der Ukraine nach der Volkszählung 2001
Quelle: Most common native language in urban and rural municipalities of Ukraine according to 2001 census, Wikipedia, 9.3.2014, Quelle dort: ukrcensus.gov.ua.
Vgl. Sabine Riedel, Die Ukraine im nationalen Identitätskonflikt. Die Rechte der russischsprachigen Bevölkerung waren und bleiben friedensentscheidend, in: Forschungshorizonte Politik & Kultur, Vol. 6, 2022/4, 30 S., S. 18.
DAS DILEMMA DER UKRAINE: AUTONOME SONDERRECHTE ODER FÖDERALISIERUNG
♦ Nach dem Fehlschlag der Verfassungsreform wurde dieses Projekt immer stärker diskreditiert. Da die ukrainische Regierung nichts unternahm, um die Defizite vertikaler Gewaltenteilung zu beseitigen, organisierten sich die regionalen Kräfte auf zentralstaatlicher Ebene. Die Partei der Regionen wurde so zum Sprachrohr der russischsprachigen Ukrainer aus Donezk und Lugansk.
♦ Die zunehmende Polarisierung des Landes entlang sprachlicher Zugehörigkeiten schien das Argument zu bestätigen, dass Nachgeben zugunsten einer stärkeren Regionalisierung oder gar Föderalisierung die Konfliktlinien weiter verstärken werde. Damit entwickelte sich das Thema einer Verwaltungs- bzw. Verfassungsreform nicht zu einem Teil der Lösung, sondern zum Problem.
♦ Für die Ukraine wäre es von Vorteil gewesen, die Reformen aus dem Jahre 2000 umzusetzen. Sie hatten durch das Plebiszit eine Legitimation und zudem ein überzeugendes Konzept: Ein Zweikammerparlament hätte den Regionen bzw. föderalen Einheiten die gleiche Mitsprache gesichert und mit dem Sowjet-Prinzip der Koppelung politischer Rechte an die Ethnizität gebrochen.
♦ Weil die Ukraine ihr Reformprojekt fallen ließ, hat sich der interethnische Konflikt verschärft und gewaltsam entladen. Heute verlangen externe Akteure Kompromisse: Punkt 11 der Minsker Vereinbarungen fordern eine Verfassungsreform, die Kiew eigentlich ablehnt, aber akzeptieren muss: einen „Sonderstatus der gesonderten Regionen der Verwaltungsgebiete Donezk und Lugansk“.
Sabine Riedel, Die Ukraine im nationalen Identitätskonflikt. Die Rechte der russischsprachigen Bevölkerung waren und bleiben friedensentscheidend, in: Forschungshorizonte Politik & Kultur, Vol. 6, 2022/4, 30 S.
Sabine Riedel, Die Kurden im Nahen Osten. Friedenspolitische Alternativen zum kurdischen Separatismus in der Türkei, Iran, Irak und Syrien, Forschungshorizonte Politik & Kultur, Vol. 6, 2022/1, 33 S.
Sabine Riedel, Der katalanische Separatismus: Kompromisslos aber „pro-europäisch“, Forschungshorizonte Politik & Kultur, Vol. 5, 2021/8, 17 Seiten.
Sabine Riedel, Bosnien-Herzegovinas Powersharing-Modell in der Krise. Wege in einen funktionierenden Bundesstaat, Forschungshorizonte Politik & Kultur, Vol. 3, 2019/11, Nachdruck aus: Jahrbuch des Föderalismus 2017 des Europäischen Zentrums für Föderalismus-Forschung Tübingen (Hg.), Baden-Baden 2017, S. 419-435.
Sabine Riedel, Streit um nationale Identitäten. Der Separatismus zielt auf eine „kulturelle“ Neuordnung Europas, in: Zeitschrift für Politikwissenschaft, Vol. 28/2018, Forum, 12.07.2018.
Sabine Riedel, Föderalismus statt Separatismus. Politische Instrumente zur Lösung von Sezessionskonflikten in Europa, SWP-Studie S05/2016.
Sabine Riedel, The Role of Democratic State in Inter-Religious Relations, Theoretical and Historical Considerations in Respect of Countries in Transition, in: Julia Gerlach, Jochen Töpfer (Eds.): The Role of Religion in Eastern Europe Today, Wiesbaden 2015, pp. 55-79.
Sabine Riedel, Die kulturelle Zukunft Europas. Demokratien in Zeiten globaler Umbrüche, Wiesbaden 2015.
Sabine Riedel, Kirche und Staat in Russland. Transitionen und Kontinuitäten, in: Nikolaos Trunte, Daniel Bunčić (Hg.): Festschrift für Helmut Keipert zum 65. Geburtstag, Iter philologicum, Die Welt der Slaven, Sammelbände/Sborniki, Band 28, München 2006, S. 319-331.
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