Bildquelle: Europäischer Rat, Rat der Europäischen Union, Das Schengen-Visum, https://www.consilium.europa.eu/de/infographics/schengen-visa/
♦ Das Thema im Fokus 2024/5 «Die bestellte Migrationsforschung» befasst sich mit der Frage, inwieweit Wissenschaft auf diesem Gebiet heute noch unabhängig ist. Das Fazit lautet: Wer sich auf eine solide Expertise verlassen will, muss folgende Fragen im Hinterkopf haben: Kann der betreffende Autor bzw. Experte dazu eigenständig verfasste und vom Geldgeber unabhängige Publikationen vorweisen? Enthalten sie wissenschaftliche Analysen? Dazu gehören Werkzeuge wie Methodenkritik, Datenerhebung, eine Abwägung von Argumenten und Quellennachweise.
♦ Wissenschaftliche Publikationen basieren auf Qualitätskontrollen. Sie beginnen mit der Lektorierung der Texte, reichen über Fachgespräche und Gutachten unter Kollegen bis hin zu anonymen Fachgutachten bei renommierten Zeitschriften. In den letzten Jahren werden diese sinnvollen Kontrollmechanismen immer häufiger missbraucht. Denn in den Forschungsnetzwerken sind nicht alle gleich. Einzelne Wissenschaftler können sich kaum noch mit neuen Methoden und Hypothesen durchzusetzen. Einige werden mit dem Vorwurf der «Verschwörungstheorie» sogar mundtod gemacht (faz.net, 09.01.2024).
♦ Wie sich Netzwerke für politische Ziele einspannen lassen, zeigt der «Rat für Migration». Es repräsentiert ca. 220 Wissenschaftler, die in verschiedenen Diszipinen zur Migration arbeiten. Ihr Ziel ist es, «politische Entscheidungen und öffentliche Debatten über Migration, Integration und Asyl kritisch zu begleiten». Von Wissenschaftlern erwartet man Analysen mit konkreten Fragestellungen, recherchierten Daten und Diskurse aus ihrer Fachdisziplin heraus. Beim Rat für Migration dagegen publizieren ein Kinderpädagoge und ein Ethnologe über das «europäische Asylsystem» (rat-fuer-migraton.de, 21.08.2024).
♦ Experten der Europapolitik wissen, dass es bislang kein «Gemeinsames europäisches Asylsystem» gibt. Es ist Teil einer politischen Agenda. Politologen differenzieren zwischen Gesetzen auf nationaler und EU-Ebene, fragen nach der Kompetenzverteilung zwischen Mitgliedstaaten / EU sowie innerhalb der EU-Institutionen und unterscheiden zwischen der Gesetzeslage und Partei-Programmen basierend auf Wunschdenken und Ideologien. Sie beobachten schließlich auch den wachsenden Einfluss von Grossunternehmen auf Entscheidungsprozesse. Dazu gehört u.a. die Freudenberg-Stiftung aus der Automobil- und IT-Industrie, die den Rat für Migration finanziell fördert (rat-fuer-migration.de/ueber-uns).
Deutschen Presse-Agentur (dpa), 09.09.2024:
«Österreich will keine abgewiesenen Flüchtlinge übernehmen»
Zitate aus Presseartikel, Verträgen und Institutionen
Schengen-Vertrag, Europäische Union, 9.3.2016
Grenzkontrollen, Deutschland, 16.9.2024
«Wien (dpa) – In der Debatte über eine umfangreichere Abweisung von Migranten an den deutschen Grenzen als bisher kündigt Österreich Widerstand an. „Österreich wird keine Personen entgegennehmen, die aus Deutschland zurückgewiesen werden. Da gibt es keinen Spielraum“, sagt der konservative Innenminister Gerhard Karner der „Bild“ und der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“.
Karner argumentiert, dass Deutschland zwar das Recht habe, Menschen zurückzuschicken, wenn ein anderes EU-Land für ihren Asylantrag zuständig ist. Dafür sei aber ein formelles Verfahren und die Zustimmung des betroffenen Mitgliedstaates nötig. Zurückweisungen im Rahmen von Kontrollen an den EU-Binnengrenzen seien nicht erlaubt, sagt Karner drei Wochen vor der österreichischen Parlamentswahl.» (sueddeutsche.de, 09.09.2024)
«Artikel 6
Einreisevoraussetzungen für Drittstaatsangehörige
(1) Für einen geplanten Aufenthalt im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten […] gelten für einen Drittstaatsangehörigen [Nicht-EU-Bürger] folgende Einreisevoraussetzungen:
a) Er muss im Besitz eines gültigen Reisedokuments sein, […]
b) Er muss im Besitz eines gültigen Visums sein […]
c) Er […] muss über ausreichende Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts […] verfügen oder in der Lage sein, diese Mittel rechtmäßig zu erwerben.
d) Er darf nicht […] zur Einreiseverweigerung ausgeschrieben sein.
e) Er darf keine Gefahr für die öffentliche Ordnung, die innere Sicherheit, die öffentliche Gesundheit oder die internationalen Beziehungen eines Mitgliedstaats darstellen […].
(5) c) Ein Mitgliedstaat kann Drittstaatsangehörigen, die eine oder mehrere Voraussetzungen des Absatzes 1 nicht erfüllen, die Einreise in sein Hoheitsgebiet aus humanitären Gründen oder Gründen des nationalen Interesses oder aufgrund internationaler Verpflichtungen gestatten. […]
Artikel 25
Allgemeiner Rahmen für die vorübergehende Wiedereinführung von Kontrollen an den Binnengrenzen
(1) Ist im Raum ohne Kontrollen an den Binnengrenzen die öffentliche Ordnung oder die innere Sicherheit in einem
Mitgliedstaat ernsthaft bedroht, so ist diesem Mitgliedstaat unter außergewöhnlichen Umständen die Wiedereinführung von Kontrollen an allen oder bestimmten Abschnitten seiner Binnengrenzen für einen begrenzten Zeitraum von höchstens 30 Tagen […] gestattet. […]
Artikel 27
Bei der vorübergehenden Wiedereinführung von Kontrollen an den Binnengrenzen anzuwendendes Verfahren nach Artikel 25
(1) Beabsichtigt ein Mitgliedstaat die Wiedereinführung von Kontrollen an den Binnengrenzen nach Artikel 25, so teilt er dies den anderen Mitgliedstaaten und der Kommission spätestens vier Wochen vor der geplanten Wiedereinführung mit, […]
Quelle: (Schengen-Vertrag 2016)
«Mitteilungen der Mitgliedstaaten über die vorübergehende Wiedereinführung von Grenzkontrollen an den Binnengrenzen gemäß den Artikeln 25 und 28 ff. des Schengener Grenzkodexes
Nr. 442 – Deutschland – 16.09.2024 – 15.03.2025.
Sicherheitsrisiken im Zusammenhang mit irregulärer Migration, einschließlich Schleusung, an den EU-Außengrenzen führen weiterhin zu einem Anstieg der irregulären Einreisen und verschärfen die bereits angespannte Unterbringungssituation für Flüchtlinge, insbesondere im Zusammenhang mit der Aufnahme ukrainischer Staatsangehöriger; Grenzen zu Belgien, den Niederlanden, Luxemburg und Dänemark.»
(Quelle: home-affairs.ec.europa.eu, 16.09.2024)
♦ Kommentar 1: In den Debatten über illegale Migration verlassen sich deutsche Politiker auf den Rat von «Experten» zu «Migration, Flucht und Europäisches Grenzregime», die nach Eigenauskunft Pädagogen und Soziologen sind (rat-fuer-migration.de / sektionen). Sie beherrschen ihr Handwerk, aber sicher nicht das Europarecht oder internationales Recht und wissen kaum etwas über die EU-Mitglieder oder die Herkunftsländer der Migranten. Das Ergebnis ist eine akademische Kakophonie, die leicht medial gesteuert werden kann, oftmals gegen die Interessen der Wähler.
♦ Kommentar 2: Die Meldung der Deutschen Presseagentur (vgl. linke Spalte) veranschaulicht, wie Medien die Politikbereiche Grenzschutz, Migration und Asylpolitik in unzulässiger Weise vermischen. Sie verwendet die Bezeichnungen «Migrant», «Flüchtling» und «Asylsuchender» synonym, obwohl diese Personengruppen ganz unterschiedliche Rechtstitel besitzen. Doch haben Grenzschützer nicht die Aufgabe, den einreisenden Drittstaatsangehörigen (Nicht-EU-Bürger) einen bestimmten Status zuzuweisen. Diese Aufgabe obliegt allein den nationalen Behörden und Botschaften. Bei nationalen Grenzkontrollen werden nur die Einreisedokumente auf ihre Gültigkeit geprüft.
♦ Kommentar 3: Politische Parteien können diese Praxis kritisieren und «stationäre Grenzkontrollen» prinzipiell ablehnen (gruene-fraktion-brandenburg.de, 12.08.2024). Sie können sich damit aber nicht auf EU-Recht berufen. Zunächst einmal verpflichtet der Schengen-Vertrag alle Mitglieder, die Aussengrenzen des Schengenraums zu sichern. Sie dürfen nur solche Drittstaatsangehörige (Nicht-EU-Bürger) passieren lassen, die gültige Reisedokumente, ein Schengen-Visum (vgl. unten zur Migration) und Mittel zur Finanzierung ihres Aufenthalts haben (vgl. Art. 6. linke Spalte), jedoch keine Straftäter und Gefährder. Schließlich dürfen sie nach ihrem nationalen Recht auch Asylsuchende aufnehmen (siehe hierzu unten).
♦ Kommentar 4: Wenn Vertragsstaaten ihren Pflichten nicht nachkommen und Drittstaatler ohne Aufenthaltstitel einreisen lassen, dürfen andere Mitglieder Kontrollen an den Binnengrenzen wiedereinführen, wenn ihre innere Sicherheit gefährt ist. Nicht ohne Grund hebt der Schengen-Vertrag in seiner Präambel hervor, dass Kontrollen an den Binnengrenzen nur unter der Voraussetzung wegfallen können, wenn die Kontrollen an den Außengrenzen verstärkt werden: Diese liegen «im Interesse sämtlicher Mitgliedstaaten» und dienen der «Bekämpfung der illegalen Zuwanderung und des Menschenhandels» (Präambel, Punkt 6, Schengen-Vertrag 2016).
♦ Kommentar 5: Der Schengenvertrag hat die Grenzkontrollen nicht «europäisiert», sondern dem nationalen Grenzschutz noch mehr Verantwortung aufgebürdet. Zur Unterstützung wurde die Europäische Grenzschutzagentur FRONTEX gegründet, die aber keine eigenen hoheitsrechtlichen Kompetenzen hat. Schengen regelt lediglich eine europäische Zusammenarbeit. Sie wird dadurch erschwert, dass ihm nur 23 der 27 EU-Mitglieder angehören sowie die vier EFTA-Staaten Island, Liechtenstein, Norwegen und die Schweiz. Vier EU-Mitglieder sind noch keine vollwertigen Mitglieder: Bulgarien, Rumänien, Zypern und Irland (vgl. die Karte im Titel oben).
♦ Kommentar 6: Deutschland verlässt sich darauf, dass die andern Mitglieder ihre Territorien schützen. Es hat die Souveränität über sein Staatsgebiet in deren Hände gelegt. Wenn diese Drittstaatler ohne Aufenhaltstitel einreisen lassen, verstoßen sie gegen den Schengen-Vertrag. Deutschland darf mit Grenzkontrollen reagieren (Art. 25, Schengen-Vertrag 2016, vgl. links). Die Einführung von Kontrollen (ab 16.09.2024) an den «Grenzen zu Belgien, Niederlande, Luxemburg und Dänemark» (home-affairs.ec) kritisierten Österreich und Polen. Doch führten sie selbst 2024 sechs- bzw. zweimal vorrübergehend Kontrollen ein. Seit 2006 griffen Schengen-Staaten 442 Mal darauf zurück.
Europäische Union:
Rechtsvorschriften. Verordnung des Rats (29.05.1995) über eine einheitliche Visagestaltung
Europäische Union:
Regelung für visumfreies Reisen mit Drittländern
Zitate aus Presseartikel, Verträgen und Institutionen
«Artikel 5
Im Sinne dieser Verordnung gilt als „Visum“ eine von einem Mitgliedstaat ausgestellte Genehmigung oder eine getroffene Entscheidung, die für die Einreise in sein Hoheitsgebiet erforderlich ist im Hinblick auf
— einen beabsichtigten Aufenthalt in diesem Mitgliedstaat oder mehreren Mitgliedstaaten mit einer Gesamtdauer von höchstens drei Monaten;
— die Durchreise durch das Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats oder mehrerer Mitgliedstaaten oder die Transitzone eines Flughafens.» (eur-lex.europa.eu, 14.07.1995)
«Die EU verfügt derzeit über eine Regelung für visumfreies Reisen mit 61 Drittländern, zwei Sonderverwaltungsregionen Chinas (Hongkong und Macau) und einer Gebietskörperschaft, die von mindestens einem EU-Mitgliedstaat nicht als Staat anerkannt wird (Taiwan).
Nach dieser Regelung können Drittstaatsangehörige mit einem biometrischen Pass ohne Visum für Kurzaufenthalte in den Schengen-Raum einreisen. […]
61 Drittländer haben eine Regelung für visumfreies Reisen.
Im März 2023 einigte sich der Rat auf eine Regelung für visumfreies Reisen für das Kosovo. […]» (consilium.europa.eu, 06.06.2024)
Quelle für beide Graphiken: Eigene Darstellung, Daten aus: BAMF 2024: 214
Quelle: consilium.europa.eu, 08.02.2024, neue Beschriftung [S.R.].
♦ Kommentar 1: Ein Irrtum ist es zu glauben, dass die zu vermeidende «illegal Zuwanderung» (Präambel, Punkt 6, Schengen-Vertrag 2016) allein durch Grenzkontrollen verhindert werden könnte. Denn Schengen-Visa sind in kriminellen Netzwerken des Menschenhandels und der Drogenkriminalität sehr begehrt. Sie öffnen eine Tür zu 27 europäischen Staaten. Ein Grenzübertritt mit gefälschten Dokumenten reicht aus, um im gesamten Schengenraum ohne Kontrollen zu reisen. Da die Migrationspolitik wie der Grenzschutz in der Hand der Mitgliedstaaten liegt (Botschaften und Konsulate), sind diese auch für die illegale Migration verantwortlich.
♦ Kommentar 2: Im Herbst 2023 wurde Polen von einem Skandal um gefälschte Schengen-Visa erschüttert. Die EU-Kommissarin für Inneres, Ylva Johansson, forderte von Warschau eine Erklärung. Die polnische Presse hatte Konsularbebeamten vorgeworfen, sie hätten gegen Bares Visa an Afrikaner ausgestellt, seit 2021 etwa 250.000 Dokumente (euronews.com,eut 20.09.2023). Auch Deutschland hat seinen Skandal, d.h. Aussenministerin Annalena Baerbock. Mit ihrem Wissen sollen Afghanen trotz gefälschter Ausweise Schengen-Visa erhalten haben (nzz.ch, 04.08.2024). Aufgeklärt wird darüber nicht.
♦ Kommentar 3: Die leichtfertige Vergabe von Schengen-Visa fördert die illegale Migration: Nach Ablauf ihrer Aufenthaltsfristen kehren einige Migranten nicht zurück und tauchen in die Illegalität ab. Hierzu gibt es kaum Daten, obwohl wissenschaftliche Methoden Schätzungen erlauben. Europäische Forschungsprojekte wie CLANDESTINO werden nicht mehr finanziert (irregular-migration.net). Danach lebten in Deutschland 2014 zwischen 180.000 und 520.000 illegal (Vogel 2015: 2). Das deutsche Bundesamt für Migration und Flüchtlinge bezweifelt das, bietet aber keine eigenen Zahlen oder Berechnungen an (BAMF 2022: 18).
♦ Kommentar 4: Was das BAMF dokumentiert, sind Daten zur regulären Migration. Danach sind in 2022 ca. 2,7 Millionen zugereist, davon 1,9 Millionen aus Nicht-EU-Ländern. Die meisten kommen aus jenen 61 Staaten, mit denen die Schengen-Mitglieder, stellvertretend der Rat der Europäischen Union, eine Visumsfreiheit vereinbart haben (vgl. links). Deutschland hat im Rat der EU dieser Regel zugestimmt, wonach keiner abgewiesen wird, der ohne Visum einreisen darf. Dagegen ist es die Aufgabe der Ausländer- und Sicherheitsbehörden, diese Migranten nach Ablauf ihrer Aufenthaltsfrist von max. 90 Tagen aufzufordern, das Land zu verlassen.
♦ Kommentar 5: Allein 1,3 Millionen oder 66 Prozent der 2022 zugereisten Drittstaatler kommen aus der Ukraine, der Moldau, Georgien und dem Westbalkan, d.h. aus «sicheren Herkunftsstaaten» (Bundestag, 15.03.2024). Schon vor der Corona-Krise und dem Ukraine-Krieg war ihr Anteil auf über 20 Prozent der eingewanderten Drittstaatler (jährlich über 100.000) gestiegen. Sie mißbrauchen die visumsfreie Einreise für einen dauerhaften Verbleib in Deutschland. Die Bundesregierung verteidigt diese Praxis, wohlwissend, dass sich damit die Armutsmigration (bundestag.de, 06.06.2014) und die illegale Migration verschärft.
♦ Kommentar 6: Aktuelle Zahlen zeigen den Steuerungsverlust der Migrationspolitik: Von den 1,9 Millionen in 2022 zugezogenen Drittstaatlern leben ca. 150.000 (8 Prozent) auf eigene Kosten, d.h. sie machen in Deutschland eine Ausbildung (60.395 bzw. 3 Prozent) oder gehen einer Beschäftigung nach (73.065 bzw. 4 Prozent). 1,2 Millionen (62 Prozent) sind dagegen auf das deutsche Sozialsystem angewiesen. Zum Aufenthaltstitel von weiteren 570.000 Personen (30 Prozent) gibt es keine Angaben zum Aufenthaltsgrund und -status (BAMF 2024: 214, vgl. linke Spalte). Trotz dieser Migrationskrise wirbt die Bundesagentur für Arbeit neue «Arbeits- oder Fachkräfte aus dem Ausland» an (arbeitsagentur.de, 2024).
Deutschlandfunk, 10.09.2024:
Warum sind Zurückweisungen an der deutschen Grenze nach EU-Recht nicht möglich?
Hans-Joachim Heintze,
Schutz von Flüchtlingen und Staatenlosen,
in: Knut Ipsen, Völkerrecht, 7. Auflage 2018:
Europäische Union, 14.05.2024:
Verordnung 2024/1351 über
Asyl- und Migrationsmanagement
«Zurückweisungen sind an deutschen Landgrenzen derzeit nur in bestimmten Fällen erlaubt: Wenn jemand mit einer Einreisesperre belegt ist oder kein Asyl beantragt. Menschen, die einen Asylantrag stellen wollen, dürfen allerdings nicht ohne Asylverfahren zurückgeschickt werden. So ist es in den Regeln des Dublin-Abkommens festgelegt.» (deutschlandfunk.de, 16.09.2024, vgl. ebenso: institut-fuer-menschenrechte.de, 2024)
Ǥ 32 Absatz 37
Das Abkommen [due Genfer Flüchtlingskonvention, GFK] erfasst politische Flüchtlinge, nicht aber Menschen, die vor Kriegen, Naturkatastrophen oder wirtschaftlicher Not fliehen. […] Zunehmend wird auch argumentiert, der non-refoulement-Grundsatz [Grundsatz der Nichtzurückweisung] müsse auch in Bezug auf die Zurückweisungan der Grenze angewendet werden. Artikel 33 [der GFK] gewährleistet kein Recht auf Asyl.[…]
Das Völkerrecht kennt kein generelles Recht des Menschen, in anderen Ländern Asyl zu suchen, bzw. eine Pflicht des Staates, Asyl zu gewähren. Art. 14 AEMR [Allgemeine Erklärung der Menschenrechte] ist insoweit kein Völkergewohnheitsrecht, sondern eine politische Proklamation. […]»
§ 32 Absatz 39
[…] Bürgerkriegsflüchtlinge fallen somit nicht unter die GFK und können mit dem subsidiären Schutz kein dauerhaftes Bleiberecht erhalten.» (Quelle: Heintze 2018, § 32 Abs. 37)
Quelle: Eigene Zusammenstellung [Sabine Riedel], vgl.: BAMF 7/2024: 11
« Artikel 16
Verfahren zur Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz
(1) Die Mitgliedstaaten prüfen einen Antrag auf internationalen Schutz, den ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einschließlich an der Grenze oder in den Transitzonen stellt. Der Antrag wird von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, […]
(5) Jeder Mitgliedstaat behält das Recht, einen Antragsteller […] in einen sicheren Drittstaat zurück- oder auszuweisen.
Artikel 17
Pflichten des Antragstellers und Zusammenarbeit mit den zuständigen Behörden
(1) Ein Antrag auf internationalen Schutz ist im Mitgliedstaat der ersten Einreise zu stellen und zu registrieren.
(2) Besitzt ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser, einen gültigen Aufenthaltstitel oder ein gültiges Visum, so wird der Antrag auf internationalen Schutz abweichend von Absatz 1 in dem Mitgliedstaat gestellt und registriert, der den Aufenthaltstitel oder das Visum ausgestellt hat.
Besitzt ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser, einen Aufenthaltstitel oder ein Visum, der bzw. das abgelaufen ist oder
annulliert, entzogen oder aufgehoben wurde, so ist der Antrag auf internationalen Schutz in dem Mitgliedstaat zu stellen und zu registrieren, in dem er sich befindet.» (EU-Verordnung, 14.05.2024)
BAMF-Entscheidungen 2023 über Asylanträge (261.601)
Zitate aus Presseartikel, Verträgen und Institutionen
♦ Kommentar 1: Schließlich liegt auch die Asylpolitik in nationaler Verantwortung. Medienbeiträge behaupten, das EU-Recht verbiete die Zurückweisung von Asylsuchenden (deutschlandfunk.de, 16.09.2024, vgl. links), d.h. nationale Genzschützer hätten nichts mehr zu sagen. Doch stehen sich hier Völkerrecht und EU-Recht gegenüber. Der Ermessensspielraum der EU-Mitglieder sorgt für permanente Spanungen untereinander und zwischen der nationalen und EU-Ebene. Zunächst ist festzuhalten: Das Völkerrecht kennt kein Recht auf Asyl und kein generelles Verbot der Zurückweisung an den Landesgrenzen (Heintze 2018, § 32 Abs. 37, vgl. links).
♦ Kommentar 2: Auch der Schengen-Vertrag schützt die Rechte der Mitgliedstaaten. Dessen Artikel 6 Abs. 5 (c) besagt, dass jedes Mitglied nach seiner nationalen Gesetzgebung selbst darüber entscheidet, welche humanitären Gründe für eine Einreise gelten (Schengen-Vertrag 2016, vgl. linke Spalte oben). Deswegen streiten sich die EU-Mitglieder seit mehr als 30 Jahre um die Zuständgkeit für Asylanträge. Die Dublin-Verordnung von 1997 wurde 2003 reformiert, 2013 durch die Dublin-III-Verordnung ersetzt und am 28.6.2024 erneut geändert (vgl. linke Spalte). Unstrittig ist dabei, dass Asylanträge im Land der Ersteinreise gestellt werden müssen.
♦ Kommentar 3: Die jüngste EU-Verordnung zur «Asylreform» bestätigt die Verantwortung der Mitgliedstaaten. Absatz 9 der Präambel ermahnt sie, nationale Strategien für ein Asyl- und Migrationsmanagement aufzustellen (EU-Verordnung, 14.05.2024, vgl. links), damit die Kommission 2026 eine europäische Strategie vorlegen kann. Diese sollten u.a. einen «wirksamen Zugang zu [Asyl-]Verfahren» und eine «menschenwürdige Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger» beinhalten (Artikel 6, a.a.O.). Artikel 4 erlaubt Asylverfahren «an den Außengrenzen der Mitgliedstaaten, in den Hoheitsgewässern oder Transitzonen» (a.a.O.).
♦ Kommentar 4: In Deutschland genießen nach Artikel 16a Absatz 1 Grundgesetz «politisch Verfolgte» Asyl (GG Artikel 16a. Abs. 1). Da einige EU-Mitglieder keine Asylgesetzgebung haben, erklärte Brüssel die Genfer Flüchtlingskonvention (GFK, vgl. unhcr.org 1951) und ihr Zusatzprotokoll (1967, vgl. a.a.O.) zur rechtsverbindlichen Norm. Schutzsuchende erhalten danach einen Flüchtlingsstatus (Präambel, Abs. 36, EU-Verordnung, 14.05.2024). Darüber hinaus führte die EU eine neue Schutz-Kategorie ein, den «subsidiären Schutz gemäß der Verordnung (EU) 2024/1348 und der Verordnung (EU) 2024/1347» (Artikel 4, a.a.O.).
♦ Kommentar 5: Diese unterschiedlichen Schutzrechte bildet die Statistik des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) ab. Im Jahre 2023 gab es 261.601 Entscheidungen, wonach die Hälfte der Antragsteller abgewiesen wurde (vgl. linke Spalte). 24 Prozent wurden abgelehnt, 25 Prozent der Anträge waren Dublin-Fälle, d.h. sie lagen in der Zuständigkeit eines anderen EU-Mitglieds. 51 Prozent dürfen weiter in Deutschland bleiben: Doch nur 1 Prozent erhielt Asyl nach deutschem Recht, 15 Prozent wurden als Flüchtling anerkannt (GFK) und 35 Prozent bekamen (subsidiären) Schutz nach EU-Recht.
♦ Kommentar 6: Man kann davon ausgehen das die Behörden die Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) und die EU-Richtlinien derzeit sehr großzügig auslegen. Wie oben erklärt, haben Migranten, die mit einem Schengenvisum oder sogar visusfrei einreisen, keinerlei Schutzrechte. Hierzu zählen nicht nur die Westbalkan-Staaten, sondern auch die Ukraine. Denn die GFK schützt nur politisch Verfolgte, nicht Kriegsflüchtlinge (Heintze 2018, § 32 Abs. 37, vgl. linke Spalte). Noch größer sind die Interpretationsspielräume beim «subsidären Schutz» der EU. Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem Nahen Osten oder Nordafrika haben demnach kein dauerhaftes Bleiberecht (a.a.O., Abs. 39, vgl. linke Spalte).
EU-Verordnung, 14.05.2024, Europäische Union, Verordnung (EU) 2024/1351 des Europäischen Parlaments und des Rats vom 14. Mai 2024 über Asyl- und Migrationsmanagement, zur Änderung der Verordnungen (EU) 2021/1147 und (EU) 2021/1060 und zur Aufhebung der Verordnung (EU) Nr. 604/2013, in: Amtsblatt der Europäischen Union, Reihe L, 22.5.2024.
unhcr.org 1951, UNHCR, The UN Refugee Agency, Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (In Kraft getreten am 22. April 1954). Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 31. Januar 1967 (In Kraft getreten am 4. Oktober 1967).