FEMINISMUS ▪ MENSCHENRECHTE
ISLAMISMUS ▪ NAHOST-POLITIK
EU-GRENZEN ▪ EUROPA-POLITIK
KRIEGSWIRTSCHAFT ▪ DIPLOMATIE
WICHTIGE QUELLENTEXTE
08.01.2025
Bildquellen: GodeNehler, Auswärtiges Amt Berlin, Own work, 25. 08.2018, in wikimedia, 02.09.2018, https://commons.wikimedia.org/wiki/Category:Ausw%C3%A4rtiges_Amt#/media/File:Ausw%C3%A4rtiges_Amt_4.jpg
U.S. Department of State, Secretary Kerry held a bilateral meeting with Russian Foreign Minister Sergey Lavrov on June 30, 2015, amid the negotiations. While they talked about the status of the talks, they also discussed other world issues, including Ukraine, Syria, and ISIL, 30.06.2015, wikimedia, 17.07.2015, https://commons.wikimedia.org/wiki/File: Secretary_Kerry_Held_a_Bilateral_Meeting_With_Russian_Foreign_Minister_Lavrov_Amid_the_Negotiations.jpg
DIE ENGE VERFLECHTUNG VON INNENPOLITIK UND AUSSENPOLITIK
♦ Der Bruch der Ampelkoalition am Tag der Wahl des neuen US-Präsidenten zeigt, wie eng Innen- und Aussenpolitik in Deutschland miteinander verflochten sind. Wir beobachten, wie machtpolitische Veränderungen in Washington oder Brüssel unmittelbar auf die deutsche Innenpolitik durchschlagen, trotz des föderalen Staatsaufbaus. Die Autorin vertritt und belegt im folgenden die These, dass dieses Ungleichgewicht zwischen Innen- und Außenplitik für sämtliche Krisen verantwortlich ist, für die Migrationskrise ebenso wie für die Wirtschafts- und Finanzkrise.
♦ Nach dem Zerfall der rot-gelb-grünen Regierung standen verschiedene Wege offen: Nach demokratischen Spielregeln hätte der Kanzler die Monate bis zum Ende der Legislatur mit wechselnden Mehrheiten regieren können. Möglich war auch ein Rücktritt und die Übergabe der Regierungsschäfte an Abgeordnete anderer Parteien. Zudem stellte die größte Oppositionskraft – entgegen den parlamentarischen Regeln – keinen Gegenkanzler. Diese Parteien verzichteten auf demokratische Verfahren zugunsten von Neuwahlen. Schließlich willigte der Bundespräsident ein, indem er den Bundestag auflöste (27.12.2024).
♦ Angesichts der Freude des Kanzlers über seine verlorene Vertrauensfrage hätten alle Alarmglocken des Parlamentarismus läuten müssen. Es ist offensichtlich, dass dem Souverän in diesem Fall «Demokratie» vorgespielt wurde. Doch zu welchem Zweck? Wir wissen es nicht. Fest steht allerdings: Deutschland beginnt das Jahr 2025 ohne handlungsfähiges Parlament und Regierung. Die Autorin gibt zu bedenken: In den nächsten Monaten werden in der internationalen Politik die Weichen gestellt, für eine Neuordnung im Nahen Osten sowie in Osteuropa. Deutschland steht abseits.
♦ Diese Erkenntnis ist ernüchternd und aufrüttelnd zugleich. Denn die Budestagswahlen bieten Chanchen zur Umsteuerung. Der Souverän hat es in der Hand, seine Interessen zur Geltung zu bringen: Er entscheidet über den außenpolitischen Kurs der neuen (Koalitions-) Regierung: Soll die Blankoscheck-Diplomatie so weitergehen, ohne sie an überprüfbare Bedingungen zu knüpfen? Diese Analyse zieht Bilanz und erklärt, wie die deutschen Staatsbürger mit ihrem Wahlzettel das Gleichgewicht zwischen Innen- und Außenpolitik in Deutschland wiederherstellt können und warum ein Kurswechsel in ihren Interessen liegt.
QUELLENTEXTE ZUR FEMINISTISCHEN AUSSENPOLITIK
«Feministische
Außenpolitik
gestalten»
Leitlinien des Auswärtigen Amts, Deutschland, Berlin,
«Gesellschaften sind friedlicher und stabiler, wenn Frauen vollumfänglich teilhaben und Geschlechtergerechtigkeit gefördert wird. Daran knüpft unsere Arbeit im Rahmen der Agenda „Frauen, Frieden und Sicherheit“ […] an. Die Agenda zielt auf die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Mädchen in Friedensprozessen und ihren Schutz in bewaffneten Konflikten.» Vgl. englisch: S. 20 ⇒
swp-berlin.org, 28.02.2024: 30.
«Die Ukraine ist bereits seit 2014 Gegenstand russischer
chauvinistischer Unterwerfungs- und Vergewaltigungsfantasien. Im jetzigen Angriffskrieg finden Antifeminismus und aggressive Hypermaskulinität ihren vielleicht brutalsten Ausdruck im Einsatz sexualisierter Gewalt als Kriegswaffe gegen Frauen und Männer.»
Dazu aljazeera.net, 31.10.2024:
«Annalena Baerbock ist eine der prominentesten Verfechterinnen von
Frauenrechten und des Feminismus in Deutschland […]. Baerbock glaubt, dass palästinensische zivile Einrichtungen wie Schulen, Krankenhäuser und Wohnungen keinen Schutz benötigen, und
begründet dies damit, dass „Terroristen sie verletzen“»
Dazu alquds.co.uk, 22.04.2024:
«Das extreme Leid palästinensischer Frauen und Kinder wird vergleichsweise wenig thematisiert und die Verantwortung für ihr Leid nicht eindeutig zugeordnet, was den Eindruck erweckt, dass die Bundesregierung nur dann eine entschiedene Haltung zu Frauenrechten einnimmt, wenn es sich bei den Tätern um politische Gegner handelt.»
swp-berlin.org, 28.02.2024: 43.
«Zwar forderte die Bundesregierung […] von Israel, mehr Rücksicht auf die Zivilbevölkerung im Gazastreifen zu nehmen […], gleichzeitig rechtfertigte sie Israels Kriegsziele […]. Konsequent sprach sie sich gegen einen Waffenstillstand aus und nahm Israel nicht für etwaige Kriegsverbrechen und die Verletzung humanitären Völkerrechts in die Verantwortung.»
KOMMENTAR
♦ Die Leitlinien des Auswärtigen Amts zur Feministischen Aussenpolitik wurden Anfang 2023 vorgelegt. Sie behaupten, dass Gesellschaften friedlicher sind, wenn Frauen daran gleichberechtigt teilhaben (auswaertiges-amt.de, 2023: 15). Die Europäische Union zeigt das genaue Gegenteil: Trotz des Frauenanteils von 40 Prozent unterstützt das EU-Parlament die Kommissionspräsdentin bei der Einführung einer Kriegswirtschaft (nzz.ch, 09.03.2024). Die Parlamentspräsidentin fordert gar von Deutschland die LIeferung der Angriffswaffe Taurus an die Ukraine (zeit.de, 23.11.2024).
♦ Deutsche Wissenschaftlerinnen flankieren diesen Kriegskurs mit ideologisch aufgeladenen Argumenten. Sie unterstellen den russischen Soldaten «chauvinistische Unterwerfungs- und Vergewaltigungsfantasien, […] Antifeminismus und aggressive Hypermaskulinität» und den Einsatz «sexualisierter Gewalt als Kriegswaffe gegen Frauen und Männer» (swp-berlin.org, 28.02.2024: 30). Diese Worte entmenschlichen die gefallenen oder verwundeten Russen (Ende 2024: 790.800; vgl. Doku Opferzahlen) und machen sie zu «Bestien», die scheinbar ihren Tod verdient hätten. Doch sind auch sie Opfer eines vermeidbaren Krieges.
♦ Diese Leitlinien lenken nicht nur von eigenen Defiziten ab (z.B. zwei Gruppenvergewaltigungen pro Tag, bundestag.de, 10.6.2024). Sie sind auch eine Reaktion auf das «Manifest für den Frieden» (10.02.2023), das Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht in Tradition des friedlichen Feminismus einer Bertha von Suttner initiierten (Thema 2022/3). Die rot-gelb-grüne Bundesregierung hat dagegen den Feminismus aus diesem Kontext gelöst und kriegstauglich gemacht. Sie lassen zu, dass NGOs wie die Soros Stiftung Deutschland auf einen Krieg gegen Russland einstimmen.
♦ Auf dem zweiten Kriegsschauplatz in Nahost entpuppt sich die von internationalen NGOs lancierte feministische deutsche Aussenpolitik vollends als ideologische Phrase. Der Feminismus ist hier ebenfalls nur ein Feigenblatt für deutsche Waffenlieferung in Kriegsgebiete. Im Gegensatz zur Ukraine stößt jedoch die bedingungslose Parteinahme der Bundesregierung für Israel international auf Kritik. Das über Jahrzehnte aufgebaute Vertrauen in die deutsche Diplomatie hat die Ampelregierung verspielt. Berlins Engagement für Menschen-, Minderheiten- und Freuenrechte ist vollends unglaubwürdig geworden (alquds.co.uk, 22.04.2024).
QUELLENTEXTE ZUR ISLAMISMUS IN DEUTSCHLAND
«Der Westen und der moderate Islam»
Carnegie-Stiftung für Internationalen Frieden, Washington, USA,
carnegieendowment.org, 6.6.2005
«In den letzten Jahren sind arabische Liberale allmählich auf moderate Islamisten zugegangen und haben sie in Kampagnen eingebunden, die Reformen fordern. Dies sind Schritte in die richtige Richtung, und die USA und Europa sollten von diesem Beispiel lernen. Der politischen Transformation in der Region ist am besten gedient, wenn islamistische Bewegungen und ihre Wählerschaft einbezogen werden. […]»
swp-berlin.org, 11/12 2012: 77 f.
«The Day After [… 2012] Pläne für einen Übergang zur Demokratie nach dem Ende der Assad-Herrschaft […]. Insgesamt nahmen rund 45 Syrerinnen und Syrer an den Arbeitstreffen teil [, … mit] konfessionellen und ethnischen Gruppierungen Syriens […]. Die Finanzierung kam vom US-amerikanischen und Schweizer Außenministerium […].
«Der US-Geheimdienst CIA unterstützt nach Recherchen der New York Times die Waffenlieferungen für die syrischen Rebellen. Dem Bericht zufolge ist in den vergangenen Monaten die Zahl der geheimen Lufttransporte mit Ausrüstung und Waffen von arabischen Staaten und der Türkei für die Aufständischen deutlich angestiegen – unter tatkräftiger Hilfe der CIA.»
«Den Turban der Dschihadisten hat er schon lange abgelegt. Heute tritt Mohammed al-Dschaulani in Militäruniform auf. […] Der 42-Jährige steht an der Spitze der islamistischen Miliz Haiat Tahrir al-Scham (HTS). Er ist der politische Kopf der Rebellengruppen, die das Regime von Syriens Langzeit-Diktator in weniger als zwei Wochen zum Einsturz brachten.»
Generalbundesanwalt, 29.6.2021
«Bei der HTS [Hai’at Tahrir al-Sham] handelt es sich um einen […] Zusammenschluss verschiedener Gruppierungen militant-fundamentalistischer Ausrichtung […]. Wie die JaN [Jabhat al Nusra] hat die HTS es sich zum Ziel gesetzt, die syrische Regierung gewaltsam zu stürzen und dort einen auf ihrer Ideologie gründenden „Gottesstaat“ zu errichten.»
auswaertiges-amt.de, 09.12.2024
«In Deutschland sind aufhältig Personen mit syrischer Staatsangehörigkeit, [31.10.2024 … ] nach Ausländerzentralregister: 974 136 Personen. Davon sind als Asylberechtigte anerkannt: 5.090. […] nach § 3 Absatz 4 Asylgesetz [Flüchtlinge]: 321.444. Subsidiären Schutz nach § 4 Absatz 1 Asylgesetz gewährt bekommen haben: 329.242 Personen.»
KOMMENTAR
♦ Lange vor dem Arabischen Frühling 2011 wurden Konzepte zum Regimewechsel im Nahen Osten entwickelt. Westliche Eliten sollten «moderate Islamisten» an die Macht bringen, um die Entwicklungen von außen zu steuern (swp-berlin.org, 15.02.2007: 87). Dieses von den USA und Israel entwickelte Konzept (carnegieendowment.org, 06.06.2005 ) wurde schließlich im Islam-Dialog der deutschen Bundesregierung verankert. Alternative Ansätze zur Unterstützung säkularer Kräfte (vgl. u.a. Riedel 2010, Riedel 2015, Riedel 2017) fanden wenig Aufmerksamkeit und wurden aus öffentlichen Diskursen und dem Islam-Dialog verdrängt.
♦ Deutschland hatte sich an den militärischen Interventionen der NATO zum Regimewechsel im Irak (2003) und Libyen (2011) nicht beteiligt. Dies sollte sich ab 2012 ändern, nachdem die USA internationale Treffen mit Islamistischen Gruppierungen in Berlin initiierte. Sogenannte «Oppositionelle» wurden zum Sturz des syrischen Präsidenten Assad ermutigt und fortan unterstützt (swp-berlin.org, 11/12 2012). Diese Saat ging Ende 2024 auf, als die islamistische Terrorgruppe Haiʾat Tahrir al-Scham (HTS) die Macht in Damaskus übernahm, waren laut Bundeskriminalamt «100 Kämpfer mit Deutschlandbezug» dabei (fokus.de, 19.12.2024).
♦ Die Instrumentalisierung der deutschen Aussenpolitk durch verbündete NATO-Staaten destabilsiert auch die innenpolitische Lage in Deutschland. Der Bericht des Verfassungsschutzes 2024 schätzt das «Personenpotenzial Islamismus/islamistischer Terrorismus» auf 27.200 Personen (Verfassungsschutz, Juni 2024: 210). Diese können sich in der EU frei bewegen. Auf Nachfrage gab das Auswärtige Amt bekannt, dass zurzeit ca. 1 Mio. Syrer in Deutschland leben. Obwohl nur rund 5.000 den Asylstatus erhielten, genießen die meisten subsidiären Schutz. Doch von 318.360 ist er Aufenthaltstitel unbekannt (auswaertiges-amt.de, 09.12.2024).
♦ Obwohl die Haiʾat Tahrir as-Scham (HTS) auf der «Terrorliste» vieler Staaten steht (washingtoninstitute.org, 17.12.2024) und Verfassungsschutz sowie Generalbundesanwalt diese zum «islamistischen Terrorismus» rechnen (Verfassungsschutz, Juni 2024: 235, Generalbundesanwalt, 29.6.2021), begrüßte die Bundesregierung die Machtergreifung der HTS in Syrien. Damit entwertet sie im Nachhinein die Bekämpfung von Al-Qaida, Taliban, ISIS, u.a. über 20 Jahre hinweg. Der Krieg in Afghanistan kostete 26 bis 47 Mrd. Euro (welt.de, 16.05.2010, mitwelt.org, 14.12.2024) und 59 Soldaten das Leben (bundestag.de, 19.2.2024).
QUELLENTEXTE ZUR DEUTSCHEN GRENZPOLITIK UND EU-ERWEITERUNG
aktionbleiberecht.de, 24.08.2015
«[…] Dublin-Verfahren für syrische Flüchtlinge ausgesetzt.
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) hat […] klargestellt, dass keine Überstellungsverfahren für syrische Flüchtlinge mehr eingeleitet werden.» Vgl. «Verfahrensregelung zur Aussetzung des Dublinverfahrens für syrische Staatsangehörige» (BAMF, 21.8.2015).
«Koalitionsvertrag
2021 – 2025
zwischen SPD,
Bündnis 90/Die Grünen und FDP»
Europäische und internationale Flüchtlingspolitik
« Auf dem Weg zu einem gemeinsamen funktionierenden EU-Asylsystem wollen wir mit einer
Koalition der aufnahmebereiten Mitgliedstaaten vorangehen […]. Wir wollen, dass Frontex […] zu
einer echten EU-Grenzschutzagentur weiterentwickelt wird. Das Ziel muss ein wirksamer und rechtsstaatlicher Außengrenzschutz sein,Frontex soll sich im Rahmen des Mandats bei der Seenotrettung aktiv beteiligen. […]»
european-union.europa.eu, 5.1.2025
«Jedes europäische Land kann der EU beitreten, wenn es die […] Kopenhagener Kriterien […] erfüllt […]:
• stabile Institutionen, die Demokratie, Rechtstaatlichkeit, Menschenrechte und den Schutz von Minderheiten gewährleisten
• eine funktionsfähige Marktwirtschaft […]
• […] alle EU-Vorschriften umzusetzen»
auswaertiges-amt.de, 1.10.2024
«Denn seit Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine sind sich die EU‑Mitgliedstaaten einig, dass wir in Europa keine „Grauzonen“ wollen, wie Putin sie gerne hätte. […]
Wir sind der Ansicht, dass der Beitritt der westlichen Balkanstaaten – genauso wie der Beitritt der Ukraine und Georgiens – eine geopolitische Notwendigkeit sind. […]»
«Die EU-Kommission hat den Antrag geprüft und in ihrer Stellungnahme […] am 17. Juni 2022 empfohlen, der Ukraine die Beitrittsperspektive zu gewähren und ihr den Kandidatenstatus zu verleihen. […] Im November 2023 hat die EU-Kommission die großen Reformanstrengungen der Ukraine gewürdigt und vorgeschlagen, die Beitrittsverhandlungen zu beginnen […]»
«Die Weltbank in der Ukraine […]
Die Ukraine steht in den kommenden Jahren vor einem immensen Finanzbedarf, und Investitionen des Privatsektors werden von entscheidender Bedeutung sein. Das Land wird in den nächsten zehn Jahren mindestens 486 Milliarden US-Dollar für die Reparatur und den Wiederaufbau benötigen, […]»
KOMMENTAR
♦ In keinem Bereich gibt es eine so enge Verzahnung zwischen Außen- und Innenpolitik wie in der Europäischen Union. Grenzschutz, Migration und Asyl verdeutlichen, wie Kompetenzen der EU-Mitglieder oft als «europäische Themen» dargestellt und deshalb kaum national ausgestaltet werden (Riedel 2020). Die deutschen Regierungsparteien wollten diese Verantwortung sogar an Brüsseler Institutionen abtreten, an die EU-Grenzschutzagentur Frontex (spd.de, 2021: 112 f.) und an die «Europäische Asylagentur» (bundestag.de, 27.11.2024). So dient «Europa» immer häufiger der Durchsetzung nicht legitimierter Entscheidungen.
♦ Dasjenige Ereignis, das die nationalstaatlichen Befugnisse bei Grenzschutz, Migration und Asyl dokumentiert, war der Beginn der Migrationskrise 2015. Die Bundesregierung unter Angela Merkel wies am 24.08.2015 das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) an, das europäische (!) Dublin-Verfahren für Syrer auszusetzen (BAMF, 21.8.2015). Deutschland verzichtete fortan, über EU-Staaten eingereiste Asylsuchende zurückzuweisen, nicht nur Syrer: Seit 2015 wurden ca. 3 Millionen Anträge bearbeitet, davon 650.140 (21 %) Dublinfälle (BAMF, 11/2024: 11). insgesamt hatten 50 % gar keine Aufenthaltsberechtigung (Thema 2024/5).
♦ Nach dem Kosovo-Krieg der NATO (1999) erhielten die Länder Südosteuropas als Kompensation eine EU-Beitrittsperspektive. Selbst nach 25 Jahren kann kein Kandidat die Aufnahmekriterien von Kopenhagen erfüllen (european-union.europa.eu, 5.1.2025). Infolge des Ukraine-Kriegs gab die Bundesregierung zu, dass diese EU-Erweiterungstrategie nicht wirtschaftspolitischen Motiven, sondern geopolitischen Interessen entspringt (www.auswaertiges-amt.de, 1.10.2024). Die Autorin prognostiziert, dass die EU diese Erweiterung nicht überlebt. 500 Mrd. Euro (worldbank.org, 29.10.2024) wird sie für die Uklraine nicht mehr aufbringen können.
♦ Der Wegfall der EU-Binnengrenzen setzte einen effektiven Schutz der Außengrenzen voraus (Schengen-Vertrag 2016, Art. 6, vgl. Thema 2024/6). Diese ausschließlich nationale Aufgabe der EU-Mitgliedstaaten wurde durch die ambitionierte Erweiterungspolitik der EU erschwert. Die Kommission beschleunigte die Anbindung neuer Staaten durch die Aufhebung der Visumspflicht für den Schengenraum. Entgegen den beschönigenden Prognosen stieg jedoch die Zahl der Asylsuchenden und der Brain Drain aus dem Westbalkan. Im Fall der Ukraine wird die Asylstatistik entlastet und den 2 Mio. Kriegssflüchtlingen Bürgergeld gezahlt (Thema 2024/6).
QUELLENTEXTE ZUR EU-SANKTIONSPOLITIK UND «KRIEGESWIRTSCHAFT»
«Iran, Nordkorea, Russland – gegen die Regime und ihre Akteure in zahlreichen Ländern hat die EU Sanktionen verhängt. Wenn ein Staat, eine Organisation oder auch einzelne Personen massiv gegen die regelbasierte internationale Ordnung verstoßen, stellen wir uns gemeinsam mit unseren Partnern entschieden dagegen. Sanktionen sind dabei ein wichtiges Instrument.[…]»
consilium.europa.eu, 12.4.2024
Wie erlässt und überprüft die EU Sanktionen?
«Die Umsetzung und Durchsetzung von EU-Sanktionen fällt in erster Linie in die Zuständigkeit der EU-Mitgliedstaaten. Als Hüterin der Verträge überwacht die Europäische Kommission die Umsetzung und Durchsetzung von EU-Sanktionen in allen Mitgliedstaaten..»
«Droht dem EU-Mitglied
Luxemburg da tatsächlich Ungemach [?…] Laut einem Bericht der Moskauer Tageszeitung ‹Wedomosti› will der russische Geschäftsmann Michail Fridman von der Regierung des EU-Mitglieds Luxemburg insgesamt 15,8
Milliarden Dollar Schadensersatz für das Einfrieren seiner
Vermögen nach Russlands Überfall auf die Ukraine erstreiten. […]»
Thierry Breton, ehem. EU-Kommissar für Binnenmarkt und Verteidigung: «[…] Die dritte Erkenntnis ist, dass unsere Verteidigungsindustrie den Ehrgeiz hat, ihre Kapazitäten auszubauen. Der Zeitpunkt ist jedoch noch nicht auf den unmittelbaren Bedarf abgestimmt. Es ist notwendig, die industrielle Basis zu „pushen“ und das Paradigma zu ändern. Wir müssen in einen Modus der „Kriegswirtschafts“ übergehen. »
consilium.europa.eu, 19.3.2024
Charles Michel, ehem. Präsident des Europäischen Rates:
«“Wenn wir Frieden wollen, müssen wir uns auf den Krieg vorbereiten“ […] Wenn wir die Antwort der EU nicht richtig hinbekommen und der Ukraine nicht genügend Unterstützung geben, um Russland zu stoppen, sind wir die Nächsten. Wir müssen daher verteidigungsbereit sein und zu einer „Kriegswirtschaft“ übergehen.»
«Der neue EU-Energiechef verspricht, die Beziehungen zu Russland endgültig zu beenden. […]
Jørgensen sagte, sein Plan werde sich „in erster Linie auf Gas, aber auch auf Öl und Kernkraft“ konzentrieren und innerhalb der ersten 100 Tage nach seinem Amtsantritt vorgelegt werden, womit er sich selbst eine Frist bis Mitte März gesetzt hat.“
KOMMENTAR
♦ Die EU-Sanktionspolitik ist ein weiteres Beispiel dafür, wie Regierungen ihre Verantwortung gern nach Brüssel abschieben. Denn in der Außen-, Sicherheits– und Verteidigungspolitik kann die EU gemäß den Verträgen nur im Konsens Sanktionsmaßnahmen ergreifen (consilium.europa.eu, 12.4.2024). Das setzt eine Willenbildung und nationale Parlamentsbeschlüsse voraus. Die Bundesregierung wie auch die größte Oppositionspartei sehen darin eine Schwäche des Systems, gerade im Ukraine-Krieg. Sie wollen diese Kompetenzen auf die EU übertragen (caspary.de, 19.3.2024, fdp.de 2025, spdfraktion.de, 25.4.2022, gruene-bundestag.de, 2025).
♦ Solange die EU kein Staat ist, müssen sich deren Mitglieder auf internationaler Ebene für die gemeinsame EU-Sanktionspolitik verantworten. Schon heute sehen sie sich mit Klagen gegen die Beschlagnahmung russischen Vermögens konfrontiert. So verlangt ein Geschäftsmann von Luxemburg 15,8 Milliarden Dollar Schadensersatz dafür, dass die EU sein Vermögen eingefroren hat (spiegel.de, 22.5.2024). Denn im Völkerrecht sind Kollektivstrafen gegen Angehörige einer politischen Gemeinschaft oder ethnischen Gruppen unzulässig. Ebensowenig gilt der Grundsatz «Auge um Auge, Zahn um Zahn», sondern das Prinzip der Verhältnismäßigkeit.
♦ Sollte die Ukraine diesen Krieg um die Rückeroberung ihrer von Russland annektierten Regionen verlieren, kommen auf die EU horrende Schadensersatzansprüche zu. Zusammen mit anderen G7-Staaten hat sie 300 Milliarden Euro an russischem Vermögen eingefroren, die Hälfte der Auslandsreserven Russlands (welt.de, 13.3.2024). Obwohl EU-Mitglieder offen zugeben, dass eine Beschlagnahmung rechtswidrig wäre, unterstützte Berlin diesen Vorschlag der Kommission (tagesschau.de, 26.7.2024, ubn.news, 23.12.2024). Einen Teil dieses Geldes wollen sie im Ukraine-Krieg «verpulvern», zum Nutzen der Rüstungsindustrie.
♦ Die Weichen für den Kriegskurs der EU wurden im Jahre 2023 gestellt. Widerstandslos konnten EU-Kommissar Thierry Breton (Binnenmarkt, Verteidigung) und der Ratspräsident Charles Michel die EU in eine Kriegswirtschaft «transformieren». Die neue Kommission will nun die gesamte EU «auf den Krieg vorbereiten» (consilium.europa.eu, 9.3.2024). Energie-Kommissar Dan Jørgensen kappte zusammen mit Kiew die letzten russischen Piplines, gegen den Willen einiger EU-Staaten. Von der neuen Bundesregierung erhofft man sich Unterstützung. Doch zuvor hat der Wähler das Wort. Er kann sich auch gegen den Krieg und für Diplomatie entscheiden.
aktionbleiberecht.de, 24.08.2015, aktion Bleiberecht, Verfahrensregelung zur Aussetzung des Dublinverfahrens für syrische Staatsangehörige, Dublin-Verfahren für syrische Flüchtlinge ausgesetzt, 24.08.2015, https://www.aktionbleiberecht.de/2015/08/verfahrensregelung-zur-aussetzung-des-dublinverfahrens-fuer-syrische-staatsangehoerige/
alquds.co.uk, 22.04.2024, ألمانيا وغزة: مسمار في نعش السياسة الخارجية النسوية للبلاد [Deutschland und Gaza: Ein Nagel im Sarg der feministischen Außenpolitik des Landes], Al-Quds Al-Arabi, London, 22.04.2024, https://www.alquds.co.uk/.